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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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auch mein Herz nicht schneller schlüge als gewöhnlich. Ich dachte einige Zeit über das Gesagte nach. Er hatte unrecht. Bei mir hatten sich tatsächlich viele der körperlichen Veränderungen eingestellt, die normalerweise mit Angst verbunden sind, und ich war verzweifelt. Alles war von einem Gefühl drohenden Unheils durchdrungen. Mein Magen revoltierte, und ich war sicherlich blaß im Gesicht. Meine Hände schwitzten entsetzlich. Und doch glaubte ich, daß ich in Wirklichkeit keine Angst hatte. Ich hatte nicht jenes Angstgefühl, wie ich es mein Leben lang kannte. Die für mich immer schon typische Art Angst war nicht da. Darüber sprach ich, während ich vor Don Juan im Zimmer auf und ab ging, der noch immer auf seiner Matte saß, seine Pfeife in der Hand hielt und mich fragend ansah. Und als ich mir die Sache überlegte, kam ich zu dem Schluß, daß das, was ich anstelle meiner gewöhnlichen Angst empfand, ein tiefes Gefühl des Widerwillens war, ein Unhehagen beim bloßen Gedanken an die Verwirrung, die durch die Einnahme halluzinogener Pflanzen hervorgerufen wurde.
    Don Juan starrte mich einen Moment an und schaute dann über mich hinweg, wobei er die Augen zusammenkniff, als strengte er sich an, in der Ferne etwas zu entdecken.
    Ich ging immer noch vor ihm auf und ab, bis er mir energisch befahl, mich hinzusetzen und zu entspannen. Schweigend saßen wir einige Minuten da. »Du willst deine Klarheit nicht verlieren, nicht wahr?« sagte er unvermittelt. »Sehr richtig, Don Juan«, sagte ich. Er lachte mit offensichtlichem Vergnügen.
    »Die Klarheit, der zweite Feind eines Wissenden, ist für dich von großer Bedeutung.«
»Du hast keine Angst«, sagte er zuversichtlich, »aber du liebst es nicht, deine Klarheit zu verlieren, und weil du ein Narr bist, nennst du das Angst.« Er schmunzelte.
    »Bring mir ein paar Holzkohlen«, befahl er.
    Er sprach in freundlichem und beruhigendem Ton. Ich stand automatisch auf, ging zur Rückseite des Hauses und holte ein paar brennende Holzkohlestückchen aus dem Feuer, legte sie auf eine kleine Steinplatte und kehrte ins Zimmer zurück. »Komm heraus auf die Veranda«, rief Don Juan laut von draußen. Er hatte eine Strohmatte an die Stelle gelegt, wo ich normalerweise sitze. Ich legte die Holzkohlen  neben ihn, und er blies sie an, um das Feuer anzufachen. Ich wollte mich gerade hinsetzen, aber er hielt mich zurück und sagte, ich sollte mich auf die rechte Kante der Matte setzen. Dann tat er ein Stück Holzkohle in die Pfeife und reichte sie mir. Ich nahm sie. Ich war verwundert über die ruhige Eindringlichkeit, mit der Don Juan mich gelenkt hatte. Mir fiel nichts mehr ein, was ich sagen könnte. Ich hatte keine Einwände mehr. Ich war überzeugt, daß ich keine Angst hatte, sondern nur nicht gewillt war, meine Klarheit zu verlieren. »Zieh, zieh!« befahl er freundlich. »Nur eine Pfeife diesmal.« Ich saugte an der Pfeife und hörte, wie die Mixtur knisternd Feuer fing. Sofort spürte ich in Mund und Nase einen eisigen Belag. Ich nahm noch einen Zug, und der Belag dehnte sich bis in meine Brust aus. Als ich den letzten Zug getan hatte, war das ganze Innere meines Körpers von einem eigenartigen Gefühl kalter Wärme erfüllt. Don Juan nahm mir die Pfeife ab und klopfte den Kopf in seiner Hand aus, um die Rückstände zu lösen. Dann befeuchtete er, wie er es immer tut, den Finger mit Spucke und rieb den Kopf aus.
    Mein Körper war taub, aber ich konnte mich bewegen. Ich veränderte meine Haltung, um bequemer zu sitzen. »Was wird geschehen?« fragte ich. Das Sprechen fiel mir recht schwer.
    Don Juan steckte die Pfeife vorsichtig in ihre Hülle und wickelte sie in einen langen Streifen Stoff. Dann setzte er sich aufrecht hin und sah mich an. Ich fühlte mich benommen. Meine Augen schlossen sich unwillkürlich. Don Juan schüttelte mich heftig. Er befahl mir, wach zu bleiben. Er sagte, ich wisse sehr gut, daß ich sterben würde, wenn ich einschliefe. Das rüttelte mich wach. Ich dachte mir, daß Don Juan das wahrscheinlich nur sagte, um mich wachzuhalten, aber andererseits, überlegte ich, könnte er auch recht haben. Ich riß die Augen auf, so weit es ging, und das brachte Don Juan zum Lachen. Er sagte, daß ich eine Weile warten und dabei immer die Augen offenhalten müsse und daß ich dann in einem bestimmten Moment den Wächter der anderen Welt sehen könne. Ich spürte eine unangenehme Hitze im ganzen Körper. Ich versuchte, meine Lage zu verändern, aber ich konnte

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