Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
mich nicht mehr bewegen. Ich wollte mit Don Juan sprechen. Die Worte schienen so tief in mir drinzustecken, daß ich sie nicht herausbringen konnte. Dann stürzte ich nach links und fand mich am Boden wieder, zu Don Juan aufblickend.
Er beugte sich über mich und befahl mir flüsternd, ihn nicht anzuschauen, sondern eine bestimmte Stelle auf der Matte, unmittelbar vor meinen Augen, starr zu fixieren.
Er sagte, daß ich mit einem Auge, dem linken Auge schauen mußte, und daß ich dann früher oder später den Wächter sehen würde. Ich fixierte den Blick auf die Stelle, die er mir gezeigt hatte, aber ich bemerkte nichts. Irgendwann jedoch entdeckte ich eine Mücke, die vor meinen Augen flog. Sie landete auf der Matte. Ich verfolgte ihre Bewegungen. Sie kam mir sehr nah, so nah, daß meine visuelle Wahrnehmung verschwamm. Und dann, ganz plötzlich, hatte ich den Eindruck, ich sei aufgestanden. Es war ein sehr rätselhaftes Gefühl, über das nachzudenken sich gelohnt hätte, aber dafür war keine Zeit. Ich hatte völlig den Eindruck, daß ich aus meiner normalen Augenhöhe direkt geradeaus schaute, und was ich dort sah, erschütterte mich bis in die letzten Fasern meines Seins. Anders kann ich die emotionelle Erschütterung, die ich durchmachte, nicht beschreiben. Unmittelbar vor mir sah ich ein gigantisches, monströses Tier. Ein wahrhaftes Monstrum! Niemals, nicht in den wildesten Phantasien, war mir je so etwas begegnet. Ich schaute es in tiefster äußerster Bestürzung an. Das erste, was mir wirklich auffiel, war seine Größe. Ich hatte Grund anzunehmen, daß es an die dreißig Meter hoch sein mußte. Es schien aufrecht zustehen, obwohl ich nicht genau feststellen konnte, wie es stand. Als nächstes bemerkte ich, daß es Flügel hatte, zwei kurze, breite Flügel. An diesem Punkt wurde mir bewußt, daß ich mich bemühte, das Tier zu untersuchen, als sei es ein alltäglicher Anblick. Das heißt, ich schaute es einfach an. Immerhin konnte ich es nicht so anschauen, wie ich zu schauen gewohnt bin. Ich merkte, daß ich eher Einzelheiten an ihm wahrnahm, so als würde das Bild klarer, je mehr Bestandteile hinzugefügt wurden. Sein Körper war von schwarzen Haarbüscheln bedeckt. Es hatte eine lange Schnauze, aus der es sabberte. Seine Augen sprangen hervor wie zwei riesige, weiße Bälle.
Nun begann es, mit den Flügeln zu schlagen. Das war nicht das Flattern von Vogelflügeln, sondern eine Art flimmerndes, vibrierendes Zittern. Es wurde schneller und fing an, sich vor mir im Kreis zu drehen. Es flog nicht, eher glitt es mit erstaunlicher Geschwindigkeit und Geschicklichkeit wenige Zentimeter über dem Boden dahin. Einen Moment war ich ganz davon in Anspruch genommen, seine Bewegungen zu beobachten. Ich dachte, daß seine Bewegungen häßlich seien, und doch war seine Schnelligkeit und Leichtigkeit großartig. Es drehte sich zweimal vor mir im Kreis, ließ die Flügel vibrieren, und der Sabber aus seinem Maul flog in alle Richtungen. Dann drehte es sich um und glitt mit unglaublicher Geschwindigkeit davon und verschwand in der Ferne. Ich blickte starr in die Richtung, in die es verschwunden war; etwas anderes konnte ich nicht tun. Ich hatte ein sehr eigenartiges Gefühl der Schwere, der Unfähigkeit, meine Gedanken zusammenhängend zu ordnen. Ich konnte mich nicht fortbewegen. Es war, als klebte ich an der Stelle.
Dann sah ich in der Ferne etwas wie eine Wolke; im nächsten Moment kreiste die Bestie wieder mit voller Geschwindigkeit vor mir. Ihre Flügel kamen meinen Augen immer näher, bis sie mich berührten. Ich glaubte, daß die Flügel mich tatsächlich berührt hatten, ohne allerdings sagen zu können, wo genau. Ich schrie mit aller Kraft unter den qualvollsten Schmerzen, die ich je empfunden hatte. Das nächste woran ich mich erinnere, war, daß ich auf meiner Matte saß und Don Juan mir die Stirn rieb. Er rieb meine Arme und Beine mit Blättern ab und führte mich anschließend zum Bewässerungskanal hinter seinem Haus, zog mir die Kleider aus und tauchte mich völlig unter, zog mich raus und tauchte mich wieder unter. Diese Prozedur wiederholte er mehrere Male.
Ich lag auf dem flachen Grund des Bewässerungsgrabens. Don Juan zog von Zeit zu Zeit meinen linken Fuß heraus und klopfte leicht gegen meine Fußsohle. Nach einiger Zeit spürte ich ein Kitzeln. Er bemerkte es und sagte, ich sei wieder in Ordnung. Ich zog mich an, und wir kehrten zum Haus zurück. Ich setzte mich wieder auf meine Strohmatte und
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