Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
sich
    Tausende Meilen fortbewegen und auch das nicht bemerken. Genauso kann man auch durch die Dinge hindurchgehen. Der kleine Rauch nimmt den Körper fort, und man ist frei wie der Wind; besser noch als der Wind, denn der Wind kann von einem Felsen oder einer Mauer oder einem Berg aufgehalten werden. Der kleine Rauch macht dich frei wie die Luft; vielleicht noch freier, denn Luft kann in einer Gruft eingeschlossen werden und wird dort schal. Aber mit der Hilfe des kleinen Rauchs kann man nicht aufgehalten oder eingeschlossen werden.« Don Juans Worte lösten bei mir eine Mischung von Euphorie und Zweifel aus. Ich wurde von einem Unbehagen, einem undefinierbaren Schuldgefühl überwältigt. »Dann kann man also wirklich all dies tun, Don Juan?«
»Was dachtest du? Du würdest lieber glauben, du seist verrückt, nicht wahr?« sagte er schneidend.
    »Nun, für dich ist es vielleicht einfach, all diese Dinge zu akzeptieren. Für mich ist es unmöglich.«
»Es ist nicht leicht für mich. Ich bin in keiner Weise besser dran als du. Diese Dinge sind für dich wie für mich wie für jeden anderen gleich schwer zu akzeptieren.«
»Aber du bist mit all dem vertraut, Don Juan.«
»Ja, aber es hat mich auch viel gekostet. Ich mußte darum kämpfen, vielleicht mehr, als du je kämpfen wirst. Du hast eine verblüffende Art, alles für dich zum Guten zu wenden. Du hast keine Ahnung, wie hart ich mich plagen mußte, um das zu tun, was du gestern tatest. Du hast irgend etwas, das dir auf jedem Zentimeter des Weges weiterhilft. Es gibt keine andere denkbare Erklärung für deine Art, den Mächten zu begegnen. Zuerst tatst du es mit Mescalito, und jetzt hast du's mit dem kleinen Rauch getan. Du solltest dich damit abfinden, daß du eine große Gabe hast, und die anderen Überlegungen außer acht lassen.«
    »Wie du das sagst, klingt es ganz leicht, aber das ist es nicht. Ich bin innerlich zerrissen.«
    »Bald genug wirst du wieder ganz sein«, sagte er. »Du hast nicht auf deinen Körper geachtet. Nebenbei gesagt, du bist zu fett. Ich wollte es dir vorhin nicht sagen. Man muß andere immer ihren eigenen Weg gehen lassen. Du warst jahrelang weg. Ich habe dir aber gesagt, daß du wiederkommen würdest, und nun bist du gekommen. Das gleiche passierte mir. Ich hörte für fünfeinhalb Jahre auf.«
»Warum bist du fortgeblieben, Don Juan?«
»Aus demselben Grund wie du. Ich mochte es nicht.«
»Und warum kamst du zurück?«
    »Aus dem gleichen Grund, warum du zurückgekommen bist, weil es keine andere Art zu leben gibt.«
    Diese Bemerkung hatte eine starke Wirkung auf mich, denn ich hatte mich selbst schon bei dem Gedanken ertappt, daß es keine andere Art zu leben geben könne. Ich hatte diesen Gedanken nie auch nur einem einzigen Menschen gegenüber geäußert, aber Don Juan hatte richtig vermutet.
    Nach langem Schweigen fragte ich ihn: »Was habe ich gestern getan, Don Juan?«
»Du bist aufgestanden, als du es wolltest.« Aber ich weiß nicht, wie ich es getan habe.«
    »Es dauert eine Weile, diese Technik zu perfektionieren, Hauptsache jedoch, daß du weißt, wie man es macht.«
    »Aber ich weiß es nicht. Das ist es doch. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Natürlich weißt du es.«
    »Don Juan, ich versichere dir, ich schwöre dir...« Er ließ mich nicht ausreden; er stand auf und ging fort. Später sprachen wir noch einmal über den Wächter der anderen Welt.
    »Wenn ich glauben soll, daß das, was ich erlebt habe, tatsächlich real ist, dann ist der Wächter eine riesenhafte Kreatur, die einem unglaubliche Schmerzen zufügen kann. Und wenn ich glauben soll, daß man tatsächlich durch einen Willensakt enorme Entfernungen zurücklegen kann, dann folgt daraus logischerweise, daß ich ebenfalls durch meinen Willen das Monstrum verschwinden lassen kann. Ist das richtig?«
»Nicht ganz«, sagte er. »Du kannst den Wächter nicht durch deinen Willen verschwinden lassen. Dein Wille kann ihn aber davon abhalten, dir zu schaden. Und wenn dir das gelingt, dann steht dir der Weg offen. Dann kannst du tatsächlich am Wärter vorbeigehen, und es gibt nichts, was er tun könnte, nicht mal verrückt herumwirbeln.«
»Wie kann das mir gelingen?«
    »Du weißt schon, wie. Alles was du noch brauchst, ist Übung.« Ich sagte ihm, daß zwischen uns ein Mißverständnis bestünde, das aus unserer unterschiedlichen Art, die Welt wahrzunehmen, herrührte. Etwas wissen, sagte ich, bedeutete für mich, daß ich mir dessen voll bewußt war, was ich tat, und

Weitere Kostenlose Bücher