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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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verschwenden, durch die ich nichts ungeschehen machen könne. Er sagte, daß er Mühe gehabt hätte, mich zurückzuholen, und daß er sich für mich beim Geist des Wasserloches eingesetzt habe.
    »Wir müssen jetzt die Gelegenheit nutzen und dich im Wasser waschen«, sagte er.
    Ich versicherte ihm, daß ich mich gut fühlte. Er schaute mir lange in die Augen.
    »Komm mit«, sagte er. »Ich werde dich ins Wasser stecken.
    »Mir geht's gut«, sagte ich. »Schau her, ich schreibe an meinen Notizen.«
    Mit bemerkenswerter Kraft zog er mich von meiner Matte hoch.
    »Laß dich nicht gehen!« sagte er. »Schon im nächsten Moment bist du vielleicht  wieder eingeschlafen. Möglicherweise werde ich dich diesmal nicht wieder aufwecken können.«
    Wir rannten hinter das Haus. Bevor wir das Wasser erreichten, befahl er mir mit sehr erregter Stimme, die Augen fest zu schließen und sie nicht zu öffnen, ehe er es mir sagte. Er meinte, ich könne sterben, wenn ich auch nur einen Augenblick ins Wasser schaute. Er führte mich an der Hand und stieß mich kopfüber in den Wassergraben. Ich hielt die Augen geschlossen, während er mich stundenlang ins Wasser eintauchte und wieder herauszog. Ich erlebte eine merkliche Veränderung. Was immer mir auch gefehlt hatte, bevor ich ins Wasser tauchte, es war so heimtückisch gewesen, daß ich es nicht richtig wahrnahm, bis ich es mit dem Wohlgefühl und der Munterkeit vergleichen konnte, die ich empfand, als Don Juan mich im  Wassergraben festhielt. Ich bekam Wasser in die Nase und fing an zu niesen. Don Juan zog mich raus und führte mich, der ich immer noch die Augen geschlossen hielt, ins Haus. Er hieß mich die Kleider wechseln, führte mich in sein Zimmer, setzte mich auf meine Matte, drehte mich in eine bestimmte Richtung und befahl mir dann, die Augen zu öffnen. Ich schlug sie auf, und was ich dann sah, ließ mich zurückfahren und mich an seinem Bein festhalten. Ich erlebte einen Moment furchtbarer Verwirrung. Er schlug mir mit den Knöcheln auf die Mitte der Schädeldecke. Es war ein schneller Schlag, weder fest noch schmerzhaft, aber irgendwie ein Schock. »Was ist mit dir los? Was hast du gesehen?« fragte er. , ,. Als ich die Augen öffnete, sah ich dieselbe Szene, die ich zuvor beobachtet hatte. Ich sah den gleichen Mann. Diesmal aber berührte er mich fast. Ich sah sein Gesicht. Irgendwie war es mir vertraut. Ich wußte beinah, wer es war. Die Szene verschwand in dem Augenblick, als Don Juan mir auf den Kopf schlug.
    Ich sah zu Don Juan auf. Er hielt seine Hand, bereit, mich noch einmal zu schlagen. Er lachte und fragte, ob ich vielleicht noch einen Schlag wollte. Ich ließ sein Bein los und streckte mich auf meiner Matte aus. Er befahl mir, geradeaus zu sehen und mich um keinen Preis in die Richtung des Wassers hinterm Haus umzudrehen. Dann erst bemerkte ich, daß es stockdunkel im Zimmer war. Einen Moment war ich nicht sicher, ob ich meine Augen offen hatte. Ich berührte sie mit den Händen, um mich zu versichern. Ich rief laut nach Don Juan und sagte ihm, daß mit meinen Augen etwas nicht stimmte. Ich konnte überhaupt nichts sehen, obwohl ich ihn gerade einen Augenblick zuvor gesehen hatte, bereit mich zu schlagen. Ich hörte sein Lachen rechts über meinem Kopf, und dann entzündete er seine Kerosinlampe. Meine Augen gewöhnten sich in Sekunden an das Licht. Alles war, wie es immer gewesen war. Die lehmbeworfenen Flechtwerkwände des Zimmers und die seltsam verkrümmten getrockneten Pflanzen, die daran hingen, die Kräuterbüschel, das Strohdach und die von einem Balken herabhängende Kerosinlampe. Ich hatte das Zimmer Hunderte von Malen gesehen, aber diesmal hatte es, ähnlich meinen eigenen Empfindungen, etwas Ungewöhnliches, etwas für mich Neues. Dies war das erstemal, daß ich an der endgültigen »Realität« meiner Wahrnehmungen zweifelte. Ich war manchmal am Rande dieses Gefühls gestanden und hatte es mir im Geiste häufig vorgestellt, aber noch nie war ich wirklich mit diesem grundlegenden Zweifel unmittelbar konfrontiert. Diesmal jedoch konnte ich nicht glauben, daß das Zimmer wirklich war, und einen Moment hatte ich das befremdende Gefühl, daß dies eine  Szene war, die verschwinden würde, sobald Don Juan mich mit den Fingerknöcheln auf die Schädeldecke schlüge. Ich fing an zu zittern, ohne dabei zu frieren. Nervöse Zuckungen liefen mein Rückgrat entlang. Mein Kopf war schwer, besonders direkt über meinem Nacken. Ich klagte, daß ich mich

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