Eine Billion Dollar
Leder und viel Geld. Und irgendwie schienen die Schlaglöcher auf den kleinen Straßen nach Florenz über Nacht alle aufgefüllt worden zu sein.
»Ich bin ja auch der letzte Bewahrer des Fontanelli-Vermögens gewesen«, orakelte Eduardo düster. »Wir haben unser Gelübde erfüllt. Nach mir ist die Familie Vacchi endlich frei.« Er spähte aus dem Fenster. »Und wird wahrscheinlich aussterben.«
Florenz quoll wie immer über von Touristen. Auf den Straßen war kein Vorankommen. Passanten lugten neugierig durch die dunkel getönten Scheiben, wenn der Wagen wieder einmal feststeckte, und John verstand plötzlich, wozu die Vorhänge an den hinteren Fenstern gut waren.
Glücklicherweise lag die Kanzlei in einer Gasse, die sich als architektonisch und historisch uninteressant herausgestellt hatte und deshalb relativ ruhig war. An die Prozedur des Aussteigens hatte John sich mittlerweile gewöhnt; Marco hielt unmittelbar vor dem Eingang, trotz eines ausdrücklichen absoluten Halteverbots, stieg aus, die Hand im Jackett, sah sich nach allen Seiten um und öffnete dann den hinteren Wagenschlag. Und er stieg erst wieder ein, um weiterzufahren, als sie sicher im Haus waren. Er würde den Wagen in der Nähe parken und warten, bis sie ihn über das Funktelefon riefen.
Es roch immer noch kühl und altehrwürdig in den Räumen des uralten Hauses, aber sehr leise, beinahe unterhalb der Hörbarkeitsschwelle, nahm man Stimmen wahr. Der Padrone und diese Studentin waren also schon da.
Sie stiegen hinauf in den ersten Stock. Die Tür stand halb offen, das Licht war an. Die Stimmen wurden deutlicher hörbar. Es war vor allem eine Stimme, die Stimme einer Frau.
Der Klang dieser Stimme löste eine seltsame Unruhe in John aus, die er sich nicht recht erklären konnte. Hatte er diese Stimme schon einmal gehört? Nein, das war es nicht. Vielleicht fühlte er sich übergangen, dass Cristoforo Vacchi jemand anderem zu diesen Räumen, zu diesen Dokumenten Zutritt gewährte, ohne ihn zu fragen oder auch nur zu informieren.
Die beiden hörten sie nicht kommen. Sie saßen in dem hinteren Raum, konzentriert über den Kasten mit dem Testament gebeugt, der Padrone und eine junge Frau mit langen, hellbraunen Haaren, die Block und Stift und ein kleines Lexikon neben sich hatte und halblaut mitsprach, was sie an Übersetzung aufschrieb. »Und zwar begab es sich in der Nacht auf den 23. April des Jahres 1495, dass ich träumte, Gott spräche zu mir…«
Hiermit erkläre ich, Giacomo Fontanelli, geboren im Jahre des Herrn 1480 zu Florenz, dass dies mein letzter Wille und meine Verfügung über mein Vermögen ist. Ich erkläre dies und schreibe dies nieder in Gegenwart der Zeugen, die dies auf diesem Dokument beurkunden. Ich erkläre dies ferner, obgleich ich heute, zum Zeitpunkt der Niederschrift, bei besten Kräften stehe und, soweit Menschen dies ermessen können, weit entfernt von der Schwelle des Todes, denn ich erkläre weiter, dass ich nach dieser Verfügung meines Vermögens und meiner sonstigen weltlichen Güter entsagen und mich dem Dienst an Gott, unserem Herrn, weihen werde, da mir dies bestimmt war seit langer Zeit. In aller Demut erkläre ich dies.
Es war mir dies bestimmt durch einen Traum, den ich als Knabe träumte und der so hell und deutlich war, wie ich nie zuvor und nie mehr seither geträumt habe. Und zwar begab es sich in der Nacht auf den 23. April des Jahres 1495, dass ich träumte, Gott spräche zu mir. In aller Demut sage ich dies, denn mir war tatsächlich, als lasse Gott mich an einem winzigen Teil seiner Allwissenheit teilhaben, und es war wahrhaft wunderbar, dies zu erleben. Ich sah mich auf dem Bette liegen, in der Kammer des Diensthauses, in dem ich mit meiner Mutter lebte, und obgleich im Traume, war doch jede Einzelheit genauso wie in der Wirklichkeit, und doch wusste ich, dass ich träumte. Mein Blick erhob sich und weitete sich und sah das Land und die Stadt Florenz, doch sah ich nicht nur in Entfernungen, die dem menschlichen Auge sonst verborgen sind, sondern überblickte genauso Vergangenheit wie Zukunft. Ich sah, dass Gottes Herrschaft in dem Prior Savonarola enden und er brennen würde vor dem Rathause, und erschrak sehr, denn ich war noch ein Knabe von fünfzehn Jahren und bemüht, ein frommes, Gott gefälliges Leben zu führen. Aber zugleich blieb ich in dem Traume ruhig, gleichsam von erhabenem Gleichmut und unberührt von den Belangen der Welt, und war solcherart in der Lage, offenen Auges
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