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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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davon verschlingen. Unzählige Währungen und Währungsreformen verstellen für gewöhnlich den Blick auf die einfache Tatsache, dass im Lauf der Zeit ungeheuer viel Kaufkraft vernichtet wurde. Die Inflation nagt an allen Vermögen, an großen wie an kleinen. Doch Giacomo Fontanelli hatte einen mächtigen Verbündeten«, fügte der Padrone bedeutungsvoll hinzu, »nämlich den Zinseszins.«
    »Zinseszins?«, echote John blöde.
    »Im Jahre 1525 wurden umgerechnet zehntausend Dollar deponiert bei einer Einrichtung, die man heute eine Bank nennen würde. Damals gab es noch keine Banken im heutigen Sinn, aber es gab im damaligen Europa, besonders in Italien, eine florierende Wirtschaft und einen gut funktionierenden Kapitalmarkt. Bedenken Sie, Florenz war damals eine Metropole des Geldes, wurde im vierzehnten Jahrhundert beherrscht von Bankiers wie den Bardi und Peruzzi und im fünfzehnten Jahrhundert von den Medici. Es gab zwar ein kirchliches Zinsverbot, aber daran konnte man sich nicht halten, denn es kann kein Kapitalmarkt existieren ohne Zins – es würde schlicht niemand Geld verleihen, wenn es ihm nichts einbrächte. Die Investition des Giacomo Fontanelli fiel ideal zusammen mit der Entwicklung eines voll funktionsfähigen internationalen Geldmarktes im sechzehnten Jahrhundert. Mein Vorfahr Michelangelo Vacchi wählte eine sichere, mit vier Prozent Verzinsung vergleichsweise schwach ertragreiche Investition. Das hieß, am Ende des Jahres 1525 waren umgerechnet vierhundert Dollar an Zinsen aufgelaufen, die dem ursprünglichen Vermögen zugeschlagen wurden, sodass im darauf folgenden Jahr nicht mehr zehntausend, sondern zehntausendvierhundert Dollar investiert waren. Und so weiter.«
    »Ich weiß, was Zinseszins ist«, murrte John, der immer noch auf die große Pointe wartete – die Entdeckung des Inkaschatzes, die große Goldgrube, irgend so etwas. »Aber das sind ja wohl nur Lappalien, oder?«
    »Oh, das würde ich nicht sagen«, lächelte der alte Mann und nahm ein Blatt Papier zur Hand, auf dem lange Kolonnen von Zahlen standen. »Wie die meisten Menschen unterschätzen Sie, was Zinseszins und Zeit gemeinsam ausrichten können. Dabei ist es leicht auszurechnen, denn obwohl die tatsächlichen Gegebenheiten immer wieder leicht variierten, haben wir doch im Schnitt den Zinssatz von vier Prozent über die gesamte Zeit aufrechterhalten können. Das heißt, dass das Vermögen im Jahre 1530, also fünf Jahre nach der Stiftung, etwas über zwölftausend Dollar betrug, umgerechnet in heutiges Geld. Im Jahre 1540 betrug es schon achtzehntausend Dollar, und bereits im Jahr 1543 hatte es sich mehr als verdoppelt. Und die damit erzielten Zinseinnahmen natürlich ebenfalls.«
    John schwante etwas, wenn er auch noch nicht hätte sagen können, was. Aber es war etwas Großes. Etwas Atemberaubendes. Etwas wie ein Eisberg, wie ein umstürzender Mammutbaum.
    »Und nun«, lächelte Cristoforo Vacchi, »geht es weiter wie in der Geschichte mit dem Schachbrett und den Reiskörnern. Vier Prozent Zinsen bedeutet nämlich, dass sich mit Zins und Zinseszins das Kapital alle achtzehn Jahre verdoppelt. Im Jahre 1550 betrug das Vermögen sechsundzwanzigtausend Dollar, im Jahre 1600 bereits an die hundertneunzigtausend Dollar. Im Jahre 1643 etwa wurde die Millionengrenze überschritten. Anno 1700 waren es neuneinhalb Millionen, anno 1800 bereits vierhundertachtzig Millionen Dollar, und im Jahre 1819 war die Milliarde erreicht…«
    »Mein Gott«, flüsterte John und spürte wieder das Große, Schwere, das dabei war, sich auf ihn zu legen. Nur dass es diesmal mit seiner vollen Gewalt kam. Diesmal gab es keine Gnade mehr.
    »Als das zwanzigste Jahrhundert anbrach«, fuhr der alte Mann erbarmungslos fort, »war das Fontanelli-Vermögen auf über vierundzwanzig Milliarden Dollar angewachsen, verteilt auf Tausende von Konten bei Tausenden von Banken. Als der Zweite Weltkrieg begann, waren es einhundertzwölf Milliarden Dollar, als er endete, einhundertzweiundvierzig Milliarden. Zum Stichtag, also gestern, betrug das Vermögen – Ihr Vermögen also – die angenehm runde Summe von fast genau einer Billion Dollar.« Er lächelte süffisant. »So viel zu Zins und Zinseszins.«
    John glotzte den Anwalt blöde an, bewegte den Unterkiefer, ohne dass ein Laut zustande kam, musste sich räuspern und krächzte schließlich mit der Stimme eines Tuberkulosekranken: »Eine Billion Dollar?«
    »Eine Billion. Das sind eintausend Milliarden.« Cristoforo

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