Eine Billion Dollar
müssen. In der Hand hatte er einen braunen Umschlag, und Susan wusste, dass darin Geld war, viel Geld. Mit einem Mal fand sie es erregend, was sie zu tun im Begriff war.
Er setzte sich ihr gegenüber, ungelenk, als leide er an Muskelkater, legte den Umschlag vor sich hin, verschränkte die Hände darüber und sah sie an. Er hatte ein derbes, teigiges Gesicht, als hätte er als Jugendlicher die Pocken gehabt oder zumindest schlimme Akne.
»Nun?«, fragte er.
Er hatte ihr seinen Namen nicht gesagt, und er meldete sich auch nie mit einem Namen, wenn er sie anrief. Sie erkannte ihn immer nur an seiner Stimme. Seit zwei Jahren versorgte sie ihn mit Informationen aus ihrer Firma, und er versorgte sie mit Geld. Zuerst waren es nur Auskünfte gewesen – welche Fälle die Detektei Dalloway bearbeitete, welche Kunden sie hatte –, dann waren die Fragen detaillierter geworden und die Antworten, die sie gab, auch. Heute gab sie zum ersten Mal Unterlagen aus der Hand.
Sie öffnete die Tasche und zog eine dünne Mappe heraus. Er streckte die Hand aus, und sie gab sie ihm. Damit war es passiert.
Er studierte die Unterlagen schweigend. Viel war es nicht. Was sie eben unbemerkt hatte kopieren können. Ein Foto, das er eingehend studierte. Ein paar Kopien von Kopien. Ein paar Seiten Text, die er mehrmals langsam durchlas. Sie beobachtete ihn dabei, starrte die behaarten Rücken seiner Hände an und fühlte sich hässlich und klein und elend. Und gleichzeitig hoffte sie inbrünstig, dass er es ausreichend finden würde und den Preis wert, den er ihr geboten hatte.
»Haben Sie die Informationen über seine Familie auch dabei?«, fragte er plötzlich.
Sie erschrak fast. »Ja.«
Er streckte die Hand aus, gelassen, als sei das, was sie taten, das Selbstverständlichste der Welt, aber gleichzeitig unerbittliche Forderung ausstrahlend. Sie holte die zweite Mappe heraus und gab sie ihm ebenfalls.
Wieder überflog er den Inhalt. Diese Mappe war vollständiger, umfasste fast alles, was die Detektei gesammelt hatte. Manche der Informationen waren auf nicht ganz legalen Wegen erlangt worden. Doch auch diese waren ihr belanglos erschienen.
»Gut.« Er nahm den braunen Umschlag und gab ihn ihr, völlig unzeremoniell, als reiche er ihr ein Paket Wurst. Susan nahm ihn und ließ ihn in ihrer Tasche verschwinden, und ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Unterleib aus.
Er stand auf, auf die gleiche ungelenke Art, und schob dabei die Mappen zusammengerollt in eine Innentasche seines Mantels.
»Falls ich noch etwas brauche, melde ich mich in den nächsten Tagen.«
Sie fühlte das Geld durch das Leder ihrer Aktentasche hindurch. »Wenn ich nur verstehen würde, was Sie an dem Jungen so interessiert.«
Der Mann sah mit einem Blick auf sie herab, der sie zusammenzucken ließ. »Versuchen Sie besser nicht, das verstehen zu wollen. Falls Sie einen guten Rat annehmen können.«
Damit ging er, ohne sich noch einmal umzudrehen.
John saß auf dem Hotelbett, das weich war und nach Lavendel roch, starrte das Telefon auf dem Nachttisch an und rang mit sich, ob er es wagen durfte, damit zu telefonieren. Alles in ihm bebte, als müsse er in Stücke brechen. Das alles musste ein Traum sein, und was er jetzt wollte wie nichts auf der Welt, war, mit jemandem zu sprechen aus der Wirklichkeit, jemand, der ihm sagen konnte: » Wach auf! «, oder so etwas. Durfte er telefonieren? Sie hatten gesagt, dass er hier schlafen solle; sie wollten ihn nicht mehr gehen lassen, jetzt, da sie ihn endlich gefunden hatten, nach fünfhundert Jahren… Hieß das, dass er telefonieren durfte? Er hatte gehört, dass es teuer war, aus Hotels zu telefonieren, und er hatte gerade noch genug Geld für die U-Bahn zurück in der Tasche.
Sie hatten ihm Sachen gekauft, einen Schlafanzug, Hose, Hemd, alles, was nötig war, und alles in den richtigen Größen. Der ganze Boden lag voll davon, er hatte nicht einmal alle Pakete aufgemacht. Mittlerweile war es dunkel geworden, und er saß immer noch da, im Dunkeln.
Dass sie ihn hier übernachten ließen, hieß das, dass sie auch ein Telefonat zahlen würden? Vielleicht. Er starrte das flache, blasse Gerät an, das in der Dämmerung schimmerte, und zitterte weiter. Eine Billion Dollar, wiederholte eine Stimme in ihm, wieder und wieder. Eine Billion Dollar.
Paul. Paul Siegel würde ihm sagen können, was davon zu halten war. Paul würde ihm helfen, wieder zu Verstand zu kommen.
Seine Hand schoss nach vorn, wie von selbst, riss
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