Eine Billion Dollar
entführt zu werden.«
»Deshalb«, schloss Eduardo Vacchi eifrig, »schlagen wir vor, dass Sie zunächst Ihren Haushalt hier in New York auflösen und – zumindest für eine Weile – mit uns nach Florenz kommen, bis Sie sich in Ihr neues Leben eingewöhnt haben.«
John nickte langsam. Ja, das alles wollte wirklich erst einmal verdaut sein. Er würde darüber schlafen müssen. Nach Florenz. Na schön, warum nicht? Was hielt ihn groß in New York? Eine Billion Dollar. Der reichste Mann der Welt. Wirklich, es war ein Witz.
»Und dann?«, fragte er.
»Darauf«, sagte Cristoforo Vacchi, »sind wir gespannt.«
»Wie meinen Sie das?«
Der alte Mann machte eine vage Geste mit den Händen. »Nun, Sie werden über so viel Geld verfügen, dass jede Volkswirtschaft zittern muss vor Ihren Entscheidungen. Das ist Ihre Macht. Was Sie damit tun werden, ist allein Ihre Sache.«
»Was hat denn Giacomo Fontanelli in seinem Traum gesehen, dass ich mache?«
»Das weiß ich nicht. Er hat gesehen, dass Sie das Richtige tun. Mehr sagt er nicht in den Notizen, die uns überliefert sind.«
»Aber was ist das Richtige?«
»Das, was den Menschen die verloren gegangene Zukunft wiedergibt.«
»Und wie soll das gehen?«
Der Padrone lachte. »Keine Ahnung, mein Sohn. Aber ich mache mir keine Sorgen, und Sie sollten sich auch keine machen. Denken Sie daran, dass wir hier eine Prophezeiung erfüllen, von der wir glauben, dass sie heilig ist. Das heißt, was immer Sie tun, Sie können nichts falsch machen.«
Susan Winter, einunddreißig Jahre alt und unverheiratet, saß nervös mit dem Knie wippend an einem der Zweiertische vor dem Rockefeller Center, auf einem weißen Drahtstuhl unter einem der braunen, achteckigen Schirme, und der Mann kam nicht und kam nicht. Zum tausendsten Mal schaute sie auf die Uhr – okay, es waren noch zwei Minuten bis zur vereinbarten Zeit – und hinauf zu dem goldenen Prometheus, dem Titanensohn, der die Front des Hochhauses zierte. Hatte der nicht auch etwas Verbotenes getan, die Götter herausgefordert? Sie versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, was sie über die antiken Sagen wusste, kam aber nicht darauf.
Dass sie unverheiratet war, lag nach Ansicht ihrer wenigen Freunde daran, dass sie zu wenig Selbstbewusstsein entwickelt hatte, um sich hübsch anzuziehen und so zu schminken, dass ihre Schönheit zur Geltung kam. An diesem Abend trug sie labbrige Jeans und ein ausgebeultes, grau-verwaschenes Sweatshirt, und ihre Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht. Der Kellner, bei dem sie ein Mineralwasser bestellt hatte, hatte sie wie ein Neutrum behandelt, und bis jetzt hatte sie ihr Wasser auch noch nicht bekommen. Was ihre Freunde nicht wussten – was niemand wusste –, war, dass Susan Winter wie besessen Lotto spielte. Alles, was sie von ihrem Gehalt abzweigen konnte, verschlang die Spielleidenschaft, auch die wenigen Gewinne, die sie erzielte. Sie hatte längst vor sich zugegeben, dass es eher eine Sucht war als eine Leidenschaft, aber sie fand nicht die Kraft, etwas dagegen zu unternehmen. Manchmal, wenn sie Lose im Dutzend kaufte, stand sie fast neben sich, sah sich selber zu dabei und empfand eine düstere Genugtuung darin, dieses hässliche, sinnlos vor sich hin lebende Geschöpf sich ebenso sinnlos abrackern zu lassen. Ihre Großmutter, bei der Susan die Nachmittage verbracht hatte, als sie ein Kind gewesen war, hatte immer gesagt: »Glück im Spiel, Pech in der Liebe!«, wenn sie bei den endlosen Bridgepartien mit ihren Freundinnen gewann. Glück im Spiel, Pech in der Liebe. Das war ein deutsches Sprichwort gewesen; Großmutter war vor dem Krieg aus Deutschland geflüchtet. Warum, hatte Susan erst viel später verstanden. An diesen Nachmittagen, wenn ihre Eltern arbeiten waren, hatte sie immer neben dem Stuhl ihrer Großmutter gesessen, hatte ihre Puppen gekämmt und umgezogen und den Unterhaltungen der alten Frauen zugehört. Glück im Spiel, Pech in der Liebe. Für sich selber hatte sie es inzwischen umgedreht, war sich nicht einmal mehr sicher, ob es nicht tatsächlich umgekehrt lautete: Pech in der Liebe, Glück im Spiel. Bei so viel Pech, wie sie in der Liebe gehabt hatte, musste sie eines Tages Glück im Spiel haben, wenn sie auch nur eine ganz undeutliche Vorstellung davon hatte, wie so ein Glück eigentlich aussehen konnte.
Der Mann kam auf die Minute pünktlich. Er trug seinen immer gleichen dunklen Mantel, als er die Terrasse betrat, und schien sie sofort zu finden, ohne suchen zu
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