Eine Billion Dollar
willens war, so viel davon in Aufklärungsarbeit zu stecken, wie nötig war. Man begriff, dass die Sache ernst gemeint war.
Politiker in Amt und Würden waren klug genug, sich möglichst nicht ungefragt zu Fontanellis Plan zu äußern. Instinktiv war ihnen klar, dass sie das Vorhaben dadurch nur aufgewertet hätten. Aber auch wenn sie gefragt wurden, hielten sie sich zurück, sprachen vage vom Recht auf freie Meinungsäußerung, lobten die erprobten Strukturen der Demokratie. Ein EU-Kommissar, also ein Mitglied jenes mächtigen Gremiums, dessen Zusammensetzung ohne jegliche Beteiligung des Wahlvolkes von den Regierungen der Europäischen Union ausgekungelt wurde, erklärte, er sehe keine Veranlassung, an den bestehenden Verhältnissen etwas zu ändern.
Das Interview, das John Fontanelli dem japanischen Fernsehen gab, war nur eine Station einer Weltreise, auf der er für sein Vorhaben warb. Schon nach wenigen Tagen hätte er den Ablauf, den jedes Gespräch nahm, geradezu aufs Wort vorhersagen können. Wo immer er hinkam, erklärte ihm der jeweilige Gesprächspartner in aller Ausführlichkeit, wie ganz anders sein Land war und wie verschieden seine Kultur vom Rest der Welt, um anschließend genau dieselben Fragen zu stellen wie alle anderen.
»Mister Fontanelli«, sagte der athletisch gebaute Japaner, dessen Namen John gleich nach der Vorstellung wieder vergessen hatte – aber er hatte seine Visitenkarte eingesteckt, für alle Fälle –, »glauben Sie wirklich, dass Länder wie China, der Irak oder Nord-Korea freie und geheime Abstimmungen zulassen werden?«
Die Regierung in Peking hatte schon zugestimmt, nur würde er das einstweilen niemandem auf die Nase binden. China brauchte Weizen; es war einfach gewesen. Kuba, das war ein wirkliches Sorgenkind. »Eine Regierung, die ihren Bürgern nicht gestattet, an den Abstimmungen teilzunehmen«, begnügte John sich also mit einem erprobten Statement, »muss sich darüber im Klaren sein, dass sie dadurch auf jegliche Mitsprache bei der Neuordnung des globalen Finanzsystems verzichtet.«
»Werden Sie Druck auf solche Regierungen ausüben?«, wollte der Mann wissen.
Sein hoch bezahlter Stab von Psychologen, Rhetorikern und Redenschreibern hatte für diese zu erwartende Frage eine ebenso eindrucksvolle wie nichtssagende Antwort erarbeitet, aber zum Teufel, da hätte man genauso gut ein Tonband schicken können, oder? Die Lust herauszufordern war plötzlich unwiderstehlich. Er räusperte sich und sagte mit grimmigem Lächeln: »Ich will es mal so sagen: Falls jemand immer noch glaubt, dass ein einzelnes Land dem Einfluss der großen Konzerne widerstehen kann, ist es höchste Zeit, dass er eines Besseren belehrt wird.«
Es dauerte eine Woche, bis der Mann wiederkam.
Jeden Tag hatte Marvin zwischen den riesigen Rotholzstämmen Ausschau gehalten, bei Regen wie bei Kälte, doch da war niemand. Er hatte zurück zu dem Platz gehen und sich die Fußspuren ansehen müssen, um sich zu vergewissern, dass er die Begegnung nicht nur geträumt hatte. Und als er eine Woche später wieder dorthin kam, wartete der Mann schon.
»Ich weiß, wer Sie sind«, erklärte Marvin sofort.
»Bemerkenswert«, sagte der Mann.
»Ich habe Sie im Fernsehen gesehen. Ihr Name ist Randolph Bleeker. Sie haben John Fontanellis Bruder vertreten, und seit der Schwindel aufgeflogen ist, sucht die Polizei Sie.«
Das schien ihn nicht im Mindesten zu beunruhigen. »Richtig, Mister Copeland«, sagte er. »Aber wissen Sie auch, dass die Polizei Sie ebenfalls sucht?«
Marvin starrte ihn an wie geohrfeigt. »Mich?«
»Die französische Polizei würde Ihnen gern ein paar Fragen im Zusammenhang mit dem Tod Ihrer Freundin Constantina Volpe stellen. Erinnern Sie sich an Mrs Volpe?«
»Constantina…?« Die Erinnerung kam wie eine Sturmflut. Er sah dunkle Gassen vor sich, einen Algerier, der Franc-Scheine zählte, einen Plastikbeutel mit weißem Pulver… Und dann – Filmriss. Erwachen neben kalten, bläulich verfärbten Gliedmaßen. Mit zitternden Händen versuchen, eine Telefonnummer zu wählen. Wieder eine Zelle. Bis ein Mann kam, mit leeren schwarzen Augen.
»Jemand hat Sie hierher gebracht. In Sicherheit. Das ist nicht nur eine Klinik, Mister Copeland – das ist auch ein Versteck. Für Sie auf jeden Fall.« Der Mann, der Bleeker war und der in einem anderen Leben versucht hatte, seinen Kumpel John reinzulegen und die ganze Welt mit dazu, sah ihn abschätzig an. »Haben Sie sich nie gefragt, wer das
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