Eine Billion Dollar
Von wo rufst du an?«
Die Stimme klang leise, weit weg, und kam mit unmerklicher Verzögerung, wie er es von transatlantischen Gesprächen kannte. »Scheißegal, wo ich gerade bin, Mann. Ich ruf nicht an, um über alte Zeiten zu reden. Ich ruf an wegen dir. Du bist dabei, die ganz große Kacke anzurühren. Du spülst uns alle ins Klo und glaubst noch, du tust ein gutes Werk. Deswegen ruf ich an, Mann.«
»Was?« John blinzelte. Draußen zogen die Straßenlaternen vorbei wie eine Kette perlmuttfarbener Monde auf schwarzem Samt.
»John, ich weiß, du bist der große Macker geworden, und alles hört auf dein Kommando, aber einmal im Leben, ich bitte dich, dieses eine Mal im Leben musst du mir zuhören. Bis zum Ende. Weil es diesmal gottverdammt scheiß- wichtig ist, klar?« Ein tiefer Atemzug. »Ich war auf Entzug. In einer Klinik. Das Kleingedruckte und die netten Anekdoten kann ich dir ein andermal erzählen, wichtig ist, dass ich dort einen kennen gelernt habe, der Bescheid weiß. Der absolut – verstehst du? – der absolut hinter die Kulissen schaut. Weil er dabei war in dem Spiel, das dort läuft, und ausgestiegen ist. Weshalb sie hinter ihm her sind, anbei bemerkt. So weit klar?«
»Hmm«, machte John stirnrunzelnd. »Klar.«
»Der erste Hammer ist gleich dein Geld. Deine eine Billion Dollar. Zins und Zinseszins und fünfhundert Jahre, die ganze Story. Das Fontanelli-Vermögen eben, bekannt aus Film, Funk und Fernsehen. Ach, sitzt du eigentlich?«
Unwillkürlich vergewisserte John sich, indem er die Hand auf das schmeichelweiche Wildleder des Rücksitzes legte. »Ja.«
»Gut. Das Fontanelli-Vermögen gibt’s nämlich in Wirklichkeit überhaupt nicht.«
Auf eine schwer zu fassende Art klang Marvin anders als sonst. Nicht auf Drogen und nicht betrunken, aber auch nicht so, wie John ihn in Erinnerung hatte. »Interessant«, sagte er behutsam. »Marvin, ich fahre gerade in einem gepanzerten Mercedes, der eine Million Dollar gekostet hat, und ich bilde mir ein, dass ich den bezahlt habe. Und nicht von Geld, das ich mit Pizza-Ausfahren verdient habe, das weiß ich zufällig ganz genau.«
Marvin schien nicht in der Stimmung für Scherze zu sein. »Ja, Mann, klar – sie haben dir einen Haufen Geld gegeben. Schon klar. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass es nicht daher kommt, wo du glaubst, dass es herkommt. Im alten Florenz hat es zwar einen Giacomo Fontanelli gegeben, und der war auch Kaufmann und wohl auch dein Vorfahr, aber er hat kein Geld hinterlassen. Null. Nada. Niente.«
»Oh«, machte John. Woher konnte Marvin etwas von dem wissen, was Ursula herausgefunden hatte? Wer konnte überhaupt etwas davon wissen? »Sondern?«
»Es hat irgendwann«, erklärte Marvin, »Mitte der Achtzigerjahre ein geheimes Projekt gegeben namens Millenium Fonds. Eine Art Investmentfonds, aber nur zugänglich für die Typen mit den ganz großen Geldbeuteln. Da haben Banker und Industrielle und andere Schwerreiche eingezahlt, bis eine Billion Dollar beisammen war. Das war das Geld, was du gekriegt hast. Der ganze andere Stuss, die Prophezeiung und so weiter: alles Schwindel. Das Testament, überhaupt alle Unterlagen sind Fälschungen. Du bist in ein absolut abgekartetes Spiel geraten, in dem jeder weiß, was gespielt wird, bloß du nicht. Und die Öffentlichkeit nicht. Aber alle anderen sind eingeweiht. McCaine. Die Familie Vacchi. Einen Michelangelo Vacchi hat es nie gegeben, Mann. Hast du dir mal ein Geschichtsbuch angeschaut, die letzten fünfhundert Jahre? Kein Mensch ist so genial, ein so großes Vermögen ungeschoren durch dieses Chaos zu bringen, sag ich dir. Absolut ausgeschlossen. Du bist einem Schwindel aufgesessen, glaub mir. Die haben dich die ganze Zeit benutzt, nur benutzt. Du bist ihre Marionette gewesen von Anfang an. Und jetzt, John«, fügte er hinzu, »ist Zahltag. Jetzt kommen sie, um zu kassieren. Weil, in einen Investmentfonds will man nicht nur einzahlen – irgendwann will man auch wieder was rauskriegen. Und nicht zu knapp.«
»Zahltag?«, echote John beunruhigt. Es war etwas in dem, was Marvin da faselte, das ihm Gänsehaut machte. Oder im Klang seiner Stimme, in dem, wie er es sagte? »Wovon redest du, Marvin? Selbst angenommen, es würde stimmen – was sollte jemand haben von all dem, was passiert ist?«
»Darum geht es doch nicht, shit . Es geht nicht um das, was passiert ist. Es geht um das, was passieren wird . Na, klingelt was?«
John spürte den Impuls, die Fensterscheibe
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