Eine Billion Dollar
Tag, dass man dahinter käme, dass sie zu nichts nütze war. Sie arbeitete, so viel sie konnte, und beklagte sich nie, wenn ihr unbezahlte Überstunden aufgehalst wurden. Sie wusste nicht, was ihr Chef tatsächlich von ihr hielt, und selbst wenn es ihr jemand gesagt hätte, hätte sie es nicht geglaubt. Ihr Chef hielt sie tatsächlich für eine neurotische, launische, unzuverlässige Person – aber er hielt große Stücke auf ihre Fähigkeit, in genialen Eingebungen die Motive und Absichten observierter Personen zu durchschauen und vorauszusagen. Diese blitzartigen, geradezu hellseherischen Einsichten wogen für ihn ihre sonstigen Nachteile mehr als auf, und er hätte sie nicht einmal entlassen, wenn er seine Agentur auf die Hälfte der Mannschaft hätte reduzieren müssen.
Als sie in Gedanken noch einmal den Inhalt der zweiten Mappe durchging, die mit den Recherchen über die Familie John Fontanellis, hatte sie eine dieser Erleuchtungen. Sie glaubte zu wissen, was der Unbekannte vorhatte. Und wenn es stimmte, was sie glaubte, dann konnte sie dieses Wissen zu viel Geld machen, zu mehr Geld, als sie sich jemals vorgestellt hatte. Dann war das der Hauptgewinn!
An diesem Tag fuhr sie mit Bauchschmerzen ins Büro, so sehr hatte sie Angst, es zu vermasseln.
Das erste Team kam in einem Porsche, ein Mann und eine Frau. Der Mann trug eine Kamera geschultert, die Frau ein Mikrofon mit dem Logo eines Senders, und so klingelten sie höflich am Tor. Worauf Benito, würdevoll in seiner Chauffeursuniform, sich gemessenen Schrittes zum Gittertor begab und wie geheißen die Auskunft erteilte, die Familie Vacchi sei im Moment nicht zu sprechen.
Kurz darauf traf ein zweites Team ein, vier Männer in einem Kombi, die allerhand Gerät ausluden, große Stative, Kameras, Bandgeräte, Schirmständer und Klappstühle. Das roch schon nach Belagerung. Man schüttelte Hände mit dem anderen Team, und von dem Platz hinter den Vorhängen in der Bibliothek im ersten Stock, von dem aus John und die Vacchis zusahen, sah es aus, als grüßten erbitterte Rivalen einander vor dem Start eines entscheidenden Rennens. Dann wurden Stative aufgebaut, Kameras montiert, Schirme entfaltet.
»Wenn wir sie ein paar Tage hinhalten, verschaffen wir den Leuten im Dorf schöne Extraeinnahmen«, meinte Alberto.
In raschem Stakkato vermehrte sich die Zahl der Reporter. Es gab keine Handschläge mehr, keine kollegialen Gespräche, nur noch rasches, aggressives Abstecken von Claims, Rempeleien um die vermeintlich besten Plätze, Ellbogen und wütende Beschimpfungen. Binnen kürzester Zeit war rings um die Einfahrt zum Hof ein Wald von Objektiven und Mikrofonen errichtet.
»Bestimmt sind wir jetzt live auf CNN zu sehen«, sagte Eduardo.
Ein Hubschrauber tauchte auf. Einen Moment lang sah es so aus, als habe er vor, im Hof zu landen, aber dann umkreiste er doch nur das Anwesen ein paar Mal, um wieder davonzuziehen.
»Ich fürchte, wenn wir nicht ein paar Fragen beantworten, werden sie anfangen, Gerüchte in die Welt zu setzen«, überlegte Gregorio mit säuerlichem Gesicht. »Die Sendungen und Zeitungen müssen schließlich irgendwie gefüllt werden.«
»Ja«, nickte Alberto. »Wir sollten eine Pressekonferenz abhalten.«
»Zumindest wir als Nachlassverwalter«, stimmte Cristoforo Vacchi zu. »Wie sieht es mit Ihnen aus, John?«
»Ich weiß nicht. Mir ist etwas mulmig«, bekannte John. »Ich habe so was noch nie gemacht – eine Pressekonferenz, meine ich.«
Der Padrone schmunzelte. »Meinen Sie, wir etwa?«
John hatte im Fernsehen Berichte von Pressekonferenzen im Weißen Haus gesehen, den Präsidenten, wie er ans Pult trat, eine Erklärung verlas, der Reihe nach Fragen beantwortete, und es war ihm immer vorgekommen wie die langweiligste Sache der Welt. Aber selber vor einem Wald knallbunter Mikrofone zu sitzen, in ein Gewitter aus Blitzlichtern zu blicken und Fragen zu beantworten, die aus einem Pulk durcheinander schreiender Menschen bis zu ihm durchdrangen, war auf seltsame Weise furchteinflößend und erregend zugleich.
Ob seine Eltern schon von der Erbschaft wussten? Ja, sagte John. Was er mit dem vielen Geld machen werde? Das wisse er noch nicht. Lauter banale Antworten, aber jedes Wort wurde mit einer Akribie notiert, aufgenommen und gefilmt, als verkünde er Weisheiten von epochaler Bedeutung.
»Sie sind jetzt ein Prominenter«, raunte ihm Eduardo zu, der sich bemühte, als derjenige akzeptiert zu werden, der das Wort erteilte.
Sie
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