Eine Billion Dollar
dafür so tief ausgeschnitten war, dass nur noch wenig der Fantasie des Betrachters überlassen blieb. Sie war die Tochter eines Großindustriellen, verheiratet mit dem Sohn eines anderen Großindustriellen, der am anderen Ende des Saals gerade mit einem schwarzhaarigen Fotomodell flirtete.
»Wie ein Milliardär«, erwiderte John mit höflichem Lächeln. »Nur tausendmal besser.«
Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die halb geöffneten Lippen. »Das klingt ja wahnsinnig aufregend. Bestimmt haben Sie auch eine beeindruckende Briefmarkensammlung, so reich, wie Sie sind, oder?«
Ach du meine Güte! »Bedaure«, beeilte John sich zu versichern, »aber falls ich mir einmal eine zulegen sollte, erfahren Sie es als Erste, Signora.«
Er machte, dass er davonkam. Auf der Toilette traf er Eduardo an, der sich gerade kämmte, und erzählte ihm davon. Der grinste sein Spiegelbild an und meinte nur: »Dann passen Sie nur auf, dass sie nicht herausfindet, wo Ihr Zimmer liegt.«
»Im Ernst? Ich meine, ihr Mann stand keine zwanzig Meter entfernt…«
»Und hat eine andere Frau angebaggert, wetten? Wie man hört, ist das bei denen so üblich. Denken Sie sich nichts dabei.«
Als er zurück in den Salon kam, war sie verschwunden, blieb es ziemlich lange und tauchte irgendwann wieder auf, leicht derangiert wirkend. John bemühte sich, Eduardos Rat zu befolgen und sich nichts dabei zu denken.
Der Finanzminister war auch auf dem Fest. »Falls Sie übrigens Investitionsmöglichkeiten für Ihr Vermögen suchen«, meinte er in scherzhaft-verschwörerischem Ton und hob sein Glas, »darf ich Ihnen unsere Staatsanleihen wärmstens empfehlen.«
John hatte keine Ahnung, was Staatsanleihen waren. Vermutlich war das ohnehin nur Smalltalk. »Ich werde drüber nachdenken«, versprach er und stieß mit dem Minister an.
Als ihm Alberto über den Weg lief, fragte er ihn danach. »Eine Staatsanleihe bedeutet, dass Sie dem Staat Geld leihen«, erklärte der, zwei Drinks in Händen. »Geld, das Sie über einen definierten Zeitraum mit festgelegtem Zins zurückbezahlt bekommen. Ziemlich langweilige, aber risikoarme Anlage, wenn Sie sich nicht gerade die Anleihe einer bankrotten Bananenrepublik aussuchen.«
»Heißt das, der Staat leiht sich Geld von Privatleuten?«, flüsterte John verblüfft.
»Wenn eine Regierung einen Haushalt vorlegt, der soundsoviel Milliarden Neuverschuldung vorsieht, dann werden für genau diesen Betrag Staatsanleihen ausgegeben. Und die kann jeder erwerben, der will. Banken tun das und auch Privatleute, ja.« Damit ließ er ihn stehen und steuerte wieder auf ein blondes Wesen zu, das wie alle Frauen auf diesem Fest aus einem anderen Universum zu stammen schien als die, die John in seinem bisherigen Leben kennen gelernt hatte.
Er traf den Finanzminister am Büffet wieder, und offenbar war es mehr als Smalltalk gewesen, denn während er Lachsschnittchen und Trüffelpastete auf seinen Teller häufte, fing er wieder von seinen Staatsanleihen an und ob er es sich schon überlegt hätte.
»Ich weiß nicht«, erwiderte John zögernd. »Ist das denn eine sichere Investition? Ich meine, Sie sind der Staat. Wenn Sie beschließen, das Geld nicht zurückzuzahlen, bin ich wehrlos.«
»Ich bitte Sie!« Alle Scherzhaftigkeit war aus seinem Ton verschwunden, und er richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. »Ein Finanzminister würde eher seiner eigenen Mutter die Rente kürzen, als den Schuldendienst nicht zu erfüllen. In den Ruf zu kommen, ein unsicherer Schuldner zu sein, das wäre so, als würde man seine Miete nicht bezahlen … Keine Regierung der Welt kann sich das leisten.«
Blitzartig stand die schwammige Gestalt von Miss Pearson wieder vor Johns innerem Auge, ihrer Vermieterin, und wie sie immer in der Tür gestanden und mit Marvin herumgezerft hatte, wenn sie mit ihrem Schuldendienst in Verzug geraten waren. Wie lange war das her? Ein paar Wochen. Hunderttausend Jahre. Er begriff, was der Minister meinte. Eine Regierung, die ihre Schulden nicht abbezahlte, würde sich schwer tun, neue Kredite aufzunehmen. Eigentlich logisch.
»Ich… ähm…«, meinte er und versuchte zu lächeln, »habe noch nicht die Zeit gefunden, eine… Investitionsstrategie zu, ähm, festzulegen. Aber ich werde an Ihren Vorschlag denken.«
Er sprach mit einem Nobelpreisträger über das Wetter, mit einem Bankier über die Wahl von Jacques Chirac zum neuen französischen Staatspräsidenten und mit einer Sopranistin über die
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