Eine Billion Dollar
Schönen, Reichen und Berühmten der Welt sich bei ihm die Klinke in die Hand gaben. Anders schon Eduardos Erklärung, man benötige gleich ein Dutzend Anzüge für die verschiedensten Anlässe auf einmal: Das zauberte den Anflug eines erfreuten Lächelns auf sein Gesicht.
John wurde in einen hellen, separaten Raum geführt. Auf einer Kommode mit unzähligen Schubladen lagen weiße Schneiderkreide, Maßbänder und ein Auftragsbuch mit Seiten aus zartgrünem Papier bereit. Ein älterer Mann mit beginnender Stirnglatze und einer dünnrandigen Brille kam mit einem Bündel von Stoffproben, die auf Johns Arm gelegt oder ihm unter das Kinn gehalten wurden, und dabei wurde ausgiebig über Schnitte und Details der Ausstattung verhandelt – fallende oder gepolsterte Schulter, Weste oder nicht, den Sitz der Hosen auf der Hüfte, ob diese später mit Gürtel oder Hosenträger getragen werden sollte, die Art der Taschen, Knöpfe, Klappen, Nähte und so weiter. Dann gesellte sich ein junger, pausbäckiger Mann dazu, der Buch führte, während bei John mit zurückhaltendem Gleichmut die Maße genommen wurden und eigenartige Codewörter wie »DRS« oder »BL 1« fielen und sorgfältig notiert wurden. Es hatte etwas von einem Ritual, einem Aufnahmeritus in eine geheime Bruderschaft, die Königliche Gesellschaft der Wahren Anzugträger vielleicht.
Zu Johns Erstaunen wollte niemand eine Anzahlung, nicht einmal eine Anschrift wurde verlangt. Nur der Name wurde notiert und ein Termin für die erste Anprobe vereinbart. In sechs Wochen, ob ihm das angenehm sei?
»Das passt uns hervorragend«, erklärte Eduardo an Johns Stelle.
Da sie schon einmal in London waren, folgten ähnliche Prozeduren bei Turnbull & Asser in der Jermyn Street 71, wo John für einen Auftrag über sechs Dutzend Maßhemden vermessen wurde, die er binnen zwölf Wochen zugesandt erhalten würde, und bei John Lobb in der St. James’s Street 9, um zwanzig Paar Maßschuhe zu bestellen. Dem Ansinnen, sich gleich nebenan bei Lock & Co. einen Zylinder maßschneidern zu lassen, widersetzte sich John, erstand allerdings zwei Panamahüte, die zu seiner Verblüffung in zylindrischen Kartons zusammengerollt verkauft wurden. Sie beschlossen spontan, zu übernachten, verständigten die Besatzung des Jets, dass es nun doch nicht abends zurückgehen würde, und nahmen die Royal Suite im Savoy Hotel. Kurz vor Ladenschluss erstanden sie bei Fortnum’s eine Dose Beluga-Kaviar in Malossol-Qualität zu einem Preis, dass John im ersten Moment dachte, der Rechnungsbetrag sei in Lire gemeint statt in Pfund Sterling, schmuggelten sie ins Hotel und machten sich dann darüber her.
»Nur pur essen«, dozierte Eduardo, während er die Dose hingebungsvoll in das Eis drückte, in dem der Zimmerservice einen trockenen Champagner gebracht hatte. »Die Leute, die Kaviar mit Sauerrahm, Anschovis, gehackten Kapern, hart gekochten Eiern und so weiter essen, machen sich nicht klar, dass sie dadurch genau den Geschmack zerstören, für den sie teuer bezahlt haben. Allenfalls dünnen Toast mit ungesalzener Butter würde ich gelten lassen, aber am besten isst man Kaviar pur. Und niemals«, fuhr er beschwörend fort, als gelte es, John vor einer unverzeihlichen Sünde zu bewahren, »wirklich niemals streicht man Kaviar mit einem Messer auf einen Toast. Genau das gleiche Barbarentum. Der Witz bei Kaviar ist, die Eier intakt bis in den Mund zu befördern und dort zu zerdrücken, zwischen Gaumen und Zunge, und dabei die winzigen Geschmacksexplosionen zu genießen, um die sich das ganze Theater dreht.«
John musterte die dunkle Masse in der geöffneten Dose, die wie eine Ansammlung klebriger schwarzer Perlen aussah. »Und wie macht man es richtig?«
»Man nimmt einen Löffel«, erwiderte Eduardo und präsentierte zwei weiße Plastiklöffel, nicht unähnlich den Löffeln für Babynahrung. »Früher hat man Löffel aus Horn genommen, aus Holz oder Elfenbein, aber Plastik ist am besten – leicht, weich, ohne scharfe Kanten, hygienisch und wegwerfbar.«
Als John den ersten Löffel Kaviar nahm, kam ihm flüchtig zu Bewusstsein, dass dieser Mundvoll mehr kostete, als er noch vor wenigen Wochen pro Monat verdient hatte. Wahnsinn. Geradezu pervers, dachte er. Dann biss er zu und dachte: Andererseits…
Am nächsten Morgen ging es weiter. Sie spazierten vom Picadilly zur Burlington Arcade, studierten die makellos braunen Schaufenster und kauften dann Jacketts und Pullover aus reinem Cashmere,
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