Eine Billion Dollar
Unbekannte fort, »was haben Sie vor?«
Da war es wieder. Gerade hatte er es so schön verdrängt. Man konnte eine ganze Menge verdrängen, wenn man zum Einkaufen quer über den Kontinent jettete. Auch Prophezeiungen und heilige Aufgaben. Besonders die.
»Ich weiß noch nicht«, zögerte er und überlegte, dass er eigentlich überhaupt nicht dazu verpflichtet war, irgendeinem Anrufer Rede und Antwort zu stehen, der nicht einmal bereit war, seinen Namen zu nennen. »Im Augenblick bin ich noch völlig damit beschäftigt, mich an das viele Geld zu gewöhnen. Einkaufen in London, Essen in Paris, solche Sachen.«
»Verständlich. Und es sei Ihnen gegönnt. Aber haben Sie schon darüber hinausgedacht? Was wollen Sie in einem Jahr, in fünf Jahren, in zehn Jahren machen? Wo wollen Sie leben? Wie soll die Welt um Sie herum aussehen?«
John starrte auf den Berg von Pullovern und Schals und hasste sie alle. »Das… ähm… habe ich noch nicht entschieden«, erklärte er mit einem Gefühl wachsender Atemnot. War das gut formuliert? Besser als: Ich habe keine Ahnung?
»Das haben Sie noch nicht entschieden, so, so. Zwischen welchen Alternativen müssen Sie denn entscheiden?«
»Wenn man eine Billion Dollar besitzt, kann man machen, was man will«, erwiderte John patziger, als er beabsichtigt hatte. »Das sind eine verdammt große Menge an Alternativen, oder?«
»Sicher.« Wenn er den anderen beleidigt hatte, ließ dieser es sich jedenfalls nicht anmerken. »Die Qual der Wahl nennt man das wohl. Menschen, die keine Wahl haben, können ein solches Dilemma selten angemessen würdigen.«
Was sollte das nun wieder heißen?
»Genau«, nickte John und fühlte sich vollkommen konfus.
»Aber«, hakte der Unbekannte nach, »es ist offenbar schon so, dass Ihnen die Prophezeiung zu schaffen macht, nicht wahr?«
Der Mann schien ja alles zu wissen. »Welche Prophezeiung?«, fragte John trotzdem.
»Kommen Sie! Die Prophezeiung Ihres Urahns Giacomo Fontanelli. Der Erbe seines Vermögens werde der Menschheit die Zukunft zurückgeben, die sie verloren hat. Ich müsste mich sehr in Ihnen täuschen, wenn die Frage, was er damit gemeint haben könnte, nicht unablässig in Ihrem Hinterkopf bohren und bohren würde.«
Ich habe diese Prophezeiung noch nicht einmal im Original gelesen, dachte John. Weil sie auf Lateinisch geschrieben ist, und der Erbe des Fontanelli-Vermögens hat diese Sprache zufällig nicht gelernt. Aber er sagte es nicht, sondern schwieg.
Wieder dieses leise Lachen, wie von weither, von den Höhen des Himalayas vielleicht. »Sie werden meine Hilfe noch einmal benötigen, John. Denken Sie darüber nach.« Damit hängte er auf.
Jeden Tag kamen Einladungen zu Banketten, Vernissagen, Empfängen, Fußballturnieren oder Galaabenden. Man trug John die Schirmherrschaft über karitative Projekte an oder lud ihn ein, dem Lions Club, dem Rotary Club und anderen exklusiven Zirkeln beizutreten. Cristoforo Vacchi las diese Schreiben gern beim Mittagessen vor, um sie dann beiseite zu legen und zu sagen: »Sie sind noch nicht so weit, John. Machen Sie sich ruhig zunächst etwas rar. Warten Sie, bis sich die öffentliche Aufregung gelegt hat. Nehmen Sie sich Zeit, in Ihre Rolle hineinzuwachsen.«
Eduardo hatte an diesem Samstagabend allerdings eine Einladung zu einer Theaterpremiere in Florenz und überredete John, der ohnehin nichts anderes vorhatte, mitzukommen.
Es handelte sich, wie sich herausstellte, um ein sehr kleines, sehr avantgardistisches Theater in einem Teil von Florenz, von dem Touristen nicht einmal ahnen, dass er existiert. Das Stück war ebenfalls sehr avantgardistisch, was hieß, dass junge, exaltierte Schauspieler sinnlos anmutende Dialoge in den kleinen, kaum hundert Zuschauer fassenden Saal brüllten, ab und zu auf große leere Fässer eintrommelten und sich gegenseitig mit glibbrigen, farbigen Flüssigkeiten übergössen. Gegen Ende des Stücks rissen sie sich zunehmend die Kleider vom Leib, und den Schlussapplaus nahmen die meisten von ihnen halb nackt entgegen. Der wollte kein Ende nehmen, was damit zu tun haben mochte, dass das vorwiegend männliche Publikum sich nicht an den sich verbeugenden Schauspielerinnen sattsehen konnte. Ziemlich raffiniert, fand John. Verstanden hatte er nichts. Vielleicht musste er seinen Sprachunterricht beim professore künftig ernster nehmen.
Anschließend gab es einen Empfang für Theaterkritiker, Freunde des Hauses und geladene Ehrengäste. Ein äußerst voluminöser
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