Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Titel: Eine dunkle Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
Beieinanderseins im Schlosse sein würden. Zunächst trat eine unerwartete Wirkung ein, welche die Zeugen dieser seltsamen Liebschaft überraschte und mit Bewunderung erfüllte. Ohne jede vorbedachte Verabredung wetteiferten beide Vettern bei ihrer Base in Fürsorge und Zärtlichkeit und fanden darin einen seelischen Genuß, der ihnen zu genügen schien. Sie lebten mit Laurence ebenso brüderlich wie unter einander. Nichts war natürlicher. Nach so langer Trennung empfanden sie das Bedürfnis, ihre Base gründlich kennen zu lernen und sich ihr ebenso beide bekannt zu machen, indem sie ihr das Recht der Wahl ließen. Unterstützt wurden sie bei dieser Prüfung von der gegenseitigen Zuneigung, die ihr Doppelleben zu einem einzigen Leben machte. Wie einst die Mutterliebe, konnte auch die Liebe zwischen beiden Brüdern keinen Unterschied machen. Um sie zu erkennen und sich nicht zu täuschen, mußte Laurence ihnen verschiedene Halsbinden geben, eine weiße dem älteren, eine schwarze dem jüngeren. Ohne diese völlige Ähnlichkeit, ohne diese Gleichheit des Lebens, die jedermann täuschte, erschiene eine solche Lage mit Recht unmöglich. Sie wird auch nur durch die Tatsache erklärlich, denn sie gehört zu denen, an die man nur glaubt, wenn man sie sieht; und hat man sie gesehen, so ist der Geist noch mehr in Verlegenheit, sie sich zu erklären, als sie zu glauben. Sprach Laurence, so hallte ihre Stimme in gleicher Weise in zwei gleich liebenden und treuen Herzen wider. Drückte sie einen geistvollen, scherzhaften oder schönen Gedanken aus, so sah ihr Blick den Ausdruck des Vergnügens in zwei Blicken, die allen ihren Bewegungen folgten, sich ihre geringsten Wünsche deuteten und ihr stets mit neuem Ausdruck zulächelten, der eine heiter, der andre mit zärtlicher Schwermut. Wenn es sich um ihre Geliebte handelte, hatten beide Brüder jene wunderbaren raschen Eingebungen des Herzens, die mit den Taten im Einklang stehen, und die nach der Meinung des Abbé Goujet bis zum Erhabenen gingen. So geschah es oft, wenn etwas geholt werden sollte, wenn es sich um eine jener kleinen Aufmerksamkeiten handelte, die Männer einer geliebten Frau so gern erweisen, daß der ältere seinem Bruder das Vergnügen ließ, sie zu erfüllen, während er seiner Base einen rührenden und zugleich stolzen Blick zuwarf. Der jüngere setzte seinen Stolz darein, derartige Schulden zu bezahlen. Dieser Wettstreit des Edelsinns bei einer Empfindung, in der der Mann bis zur eifersüchtigen Wildheit des Tieres geht, verwirrte alle Begriffe der alten Leute, die ihm zusahen.

Diese kleinen Einzelheiten lockten oft Tränen in die Augen der Gräfin. Eine einzige Empfindung, die aber bei gewissen begnadeten Wesen vielleicht ungeheuer ist, kann einen Begriff von Laurences Gefühlen geben; man wird sie begreifen, wenn man sich des völligen Zusammenklangs zweier schöner Stimmen, wie die der Sonntag und der Malibran, in einem harmonischen Duett erinnert, oder des völligen Zusammenklangs zweier Instrumente in den Händen genialer Spieler, deren melodische Töne wie die Seufzer eines einzigen leidenschaftlichen Wesens in die Seele dringen. Sah der Pfarrer bisweilen den Marquis von Simeuse, in einen Lehnstuhl gesunken, einen tiefen, schwermütigen Blick auf seinen Bruder richten, der mit Laurence plauderte und lachte, so hielt er ihn eines ungeheuren Opfers für fähig; aber bald fing er in seinen Augen den Blitz der unbezwinglichen Leidenschaft auf. Sooft einer der Zwillinge sich mit Laurence allein sah, konnte er sich für ausschließlich geliebt halten. »Dann scheinen sie mir nur noch ein Wesen zu sein«, sagte die Gräfin zum Abbé Goujet, der sie nach dem Zustand ihres Herzens fragte.
    Der Priester erkannte an ihr nur den völligen Mangel an Gefallsucht. Laurence glaubte sich wirklich nicht von zwei Männern geliebt.
    »Aber, liebe Kleine,« sagte zu ihr eines Abends Frau von Hauteserre, deren Sohn in stiller Liebe zu Laurence dahinstarb, »du wirst doch wählen müssen!«
    »Laß uns glücklich sein«, entgegnete sie. »Gott wird uns vor uns selbst retten!«
    Adrien von Hauteserre verbarg im Herzensgrunde eine verzehrende Eifersucht und bewahrte das Geheimnis seiner Qualen für sich, denn er begriff, wie wenig Hoffnung er hatte. Er begnügte sich mit dem Glück, dies reizende Mädchen zu sehen, das in den paar Monaten, die dieser Kampf dauerte, in all ihrem Glanze strahlte. Seit Laurence kokett geworden war, verwandte sie nämlich all die Sorgfalt auf

Weitere Kostenlose Bücher