Eine dunkle Geschichte (German Edition)
und Hut zwischen den Beinen behielt. Diese Pose, deren Geheimnis stets nur den Lebemännern am Hofe Ludwigs XV. vertraut war, ließ die Hände frei, so daß sie mit der Tabaksdose, einem stets kostbaren Schmuckstück, spielen konnten. Und so zog der Marquis denn auch eine reiche Tabaksdose aus der Tasche seiner Weste, die mit einem mit Goldarabesken bestickten Schutzstreifen abschloß. Während er sich anschickte, eine Prise zu nehmen, und mit einer zweiten reizenden Geste, die er mit freundlichen Blicken begleitete, im Kreise herum Tabak anbot; bemerkte er, welches Vergnügen sein Besuch bereitete. Nun schien er zu begreifen, warum die jungen Emigranten ihre Pflicht ihm gegenüber verabsäumt hatten. Er schien sich zu sagen: »Wenn man den Hof macht, macht man keine Besuche.«
»Wir können Sie doch ein paar Tage hier behalten?« fragte Laurence.
»Unmöglich«, entgegnete er. »Wären wir nicht so durch die Ereignisse getrennt gewesen, denn Sie haben größere Entfernungen durchmessen als die, welche uns von einander trennen, so wüßten Sie, liebes Kind, daß ich Töchter, Schwiegertöchter und Enkelkinder habe. Die ganze Gesellschaft wäre besorgt, wenn sie mich heute abend nicht sähe, und ich habe achtzehn (französische) Meilen zu fahren!«
»Sie haben recht gute Pferde«, versetzte der Marquis von Simeuse.
»Oh, ich komme von Troyes, wo ich gestern Geschäfte hatte.«
Nach den obligaten Fragen über die Familie, die Marquise von Chargeboeuf und all die tatsächlich gleichgültigen Dinge, an denen die Höflichkeit lebhaften Anteil zu nehmen gebietet, dünkte es Herrn von Hauteserre, als sei Herr von Chargeboeuf gekommen, um seine jungen Verwandten vor jeder Unvorsichtigkeit zu warnen. Wie der alte Marquis sagte, hatten die Zeiten sich sehr geändert, und niemand konnte mehr sagen, wozu der Kaiser es noch bringen würde.
»Oh,« sagte Laurence, »er wird zum Gott werden.« Der gute Greis sprach von Konzessionen, die man machen müsse. Als Herr von Hauteserre die Notwendigkeit, sich zu unterwerfen, betonen hörte, und zwar mit weit mehr Bestimmtheit und Nachdruck, als er selbst bei allen seinen Lehren anzuwenden pflegte, blickte er seine Söhne fast flehentlich an.
»Würden Sie diesem Manne dienen?« fragte der Marquis von Simeuse den Marquis von Chargeboeuf.
»Gewiß, wenn das im Interesse meiner Familie läge.«
Schließlich ließ der Greis in unbestimmter Weise ferne Gefahren durchblicken; als Laurence ihn aufforderte, sich deutlicher zu erklären, riet er den vier Edelleuten, nicht mehr zu jagen und sich still zu Hause zu halten.
»Sie sehen das Gebiet von Gondreville noch immer als Ihr Eigentum an,« sagte er zu den Herren von Simeuse; »damit entfachen Sie furchtbaren Haß. An Ihrem Erstaunen sehe ich, daß Sie nicht wissen, daß in Troyes, wo man noch Ihres Mutes gedenkt, Übelwollen gegen Sie besteht. Jedermann erzählt unverblümt, wie Sie den Nachforschungen der Polizei des Kaiserreiches entgangen sind; die einen loben Sie dafür, die andern sehen Sie als Feinde des Kaisers an. Einige Parteigänger wundern sich über Napoleons Milde gegen Sie. Das ist noch nichts. Sie haben Leute zum besten gehabt, die sich für schlauer als Sie hielten; Niedriggestellte verzeihen nie. Früher oder später wird die Justiz, die in Ihrem Departement von Ihrem Feinde, dem Senator Malin, ausgeht, denn er hat überall seine Kreaturen angebracht, selbst in den ministeriellen Beamtenstellen – seine Justiz wird also sehr froh sein, Sie in eine schlimme Geschichte verwickelt zu sehen. Ein Bauer wird mit Ihnen Streit anfangen, wenn Sie auf seinen Feldern sind. Sie haben geladene Waffen, sind lebhaft, und ein Unglück ist bald geschehen. In Ihrer Lage muß man hundertmal recht haben, um nicht unrecht zu kriegen. Ich rede nicht ohne Grund so mit Ihnen. Die Polizei überwacht noch immer den Kreis, in dem Sie sich befinden, und hält in dem Nest Arcis einen Kommissar, bloß um den kaiserlichen Senator vor Ihren Anschlägen zu schützen. Er hat Angst vor Ihnen und sagt es.«
»Aber er verleumdet uns!« rief der jüngere Simeuse.
»Er verleumdet Sie! Das will ich glauben ... Aber was glaubt das Publikum? Darauf kommt es an. Michu hat den Senator aufs Korn genommen, und der hat es nicht vergessen. Seit Ihrer Rückkehr hat die Gräfin Michu zu sich genommen. Für viele Leute und für die Mehrheit des Publikums hat Malin also recht. Sie wissen nicht, wie heikel die Lage der Emigranten denen gegenüber ist, die im Besitz
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