Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Gotthards den Kerkereingang wieder und kehrte dann mit ihnen zu Fuß zurück. Unterwegs fiel Michu ein, daß er die silbernen Bestecke und den silbernen Becher seiner Herren in dem Keller gelassen hatte, und kehrte allein um. Als er am Rande des Sumpfes ankam, hörte er Stimmen im Kerker und ging durch das Gestrüpp stracks auf den Eingang zu.
»Sie wollen gewiß Ihr Silberzeug holen?« sagte Peyrade lächelnd und zeigte ihm durch das Blattwerk seine rote Nase.
Ohne zu wissen, warum, denn die jungen Leute waren schließlich gerettet, fühlte Michu einen Schmerz in allen Gliedern; so lebhaft war bei ihm jene unbestimmte, unbestimmbare Befürchtung, die ein kommendes Unglück verursacht. Trotzdem trat er vor und fand Corentin auf der Treppe mit einem Wachsstock in der Hand.
»Wir sind nicht boshaft«, sagte er zu Michu. »Wir hätten Eure verflossenen Edelleute schon seit einer Woche fassen können, aber wir wußten, daß sie gestrichen sind... Sie sind ein tüchtiger Kerl! Und Sie haben uns zuviel Scherereien gemacht, als daß wir nicht wenigstens unsre Neugier befriedigen wollten.«
»Ich gäbe was drum,« rief Michu aus, »wenn ich wüßte, wie und von wem wir verkauft worden sind!«
»Wenn das Ihre Neugier so reizt, mein Junge,« sagte Peyrade lächelnd, »so sehen Sie sich die Hufeisen Ihrer Pferde an, und Sie werden sehen, daß Sie sich selbst verraten haben.«
»Ohne Groll«, sagte Corentin und winkte dem Gendarmeriehauptmann, mit den Pferden zu kommen.
»Der elende Pariser Arbeiter, der die Pferde so gut auf englische Art beschlug und der Cinq-Cygne verlassen hat, war einer der Ihren!« rief Michu aus. »Sie brauchten nur bei feuchtem Wetter von einem Ihrer Leute, der als Holzfäller oder Wilderer verkleidet war, die Spuren unserer Pferde, die mit ein paar Krampen beschlagen waren, im Gelände aufsuchen und verfolgen zu lassen. Wir sind quitt.«
Michu tröstete sich bald in dem Gedanken, daß die Entdeckung dieses Schlupfwinkels jetzt gefahrlos war, denn die Edelleute wurden ja wieder Franzosen und hatten ihre Freiheit erlangt. Und doch hatte er mit allen seinen Ahnungen recht. Die Polizei und die Jesuiten haben die Eigenschaft, daß sie weder ihre Feinde noch ihre Freunde je aufgeben.
Der biedere Hauteserre kehrte aus Paris zurück und war ziemlich erstaunt, nicht der erste zu sein, der die gute Nachricht überbrachte. Durieu richtete das üppigste Mahl her. Die Leute zogen sich an, und mit Ungeduld erwartete man die Proskribierten, die gegen vier Uhr eintrafen, fröhlich und gedemütigt zugleich, denn sie standen für zwei Jahre unter Polizeiaufsicht, mußten jeden Monat in der Präfektur erscheinen und durften während dieser zwei Jahre die Gemeinde Cinq-Cygne nicht verlassen.
»Ich werde Ihnen das Register zur Unterschrift schicken«, hatte der Präfekt zu ihnen gesagt. »Dann werden Sie nach ein paar Monaten die Aufhebung dieser Bedingungen beantragen, die übrigens allen Mitschuldigen Pichegrus auferlegt sind. Ich werde Ihren Antrag befürworten.«
Diese ziemlich verdienten Beschränkungen betrübten die jungen Leute ein wenig. Laurence begann zu lachen.
»Der Kaiser der Franzosen«, sagte sie, »hat eine ziemlich schlechte Erziehung. Er ist an das Begnadigen noch nicht gewöhnt.«
Die Edelleute fanden alle Schloßbewohner am Gitter, und auf dem Wege einen guten Teil der Leute aus dem Dorfe, die gekommen waren, um die jungen Leute zu sehen, die durch ihre Abenteuer im ganzen Departement berühmt geworden waren. Frau von Hauteserre hielt ihre Söhne lange in den Armen; ihr Gesicht war mit Tränen bedeckt. Sie war keines Wortes mächtig und blieb einen Teil des Abends tief ergriffen, doch glücklich. Sobald die Zwillinge Simeuse sich zeigten und vom Pferde stiegen, erscholl ein allgemeiner Ruf der Überraschung ob ihrer erstaunlichen Ähnlichkeit: der gleiche Blick, die gleiche Stimme, das gleiche Gebaren. Beide machten genau dieselbe Bewegung, als sie sich zum Absitzen im Sattel hoben, das Bein über die Kruppe des Pferdes schlugen und die Zügel hinwarfen. Auch ihre völlig gleiche Kleidung trug dazu bei, sie zu wahren Menächmen zu machen. Sie trugen Suwarowstiefel, die über dem Spann fest anlagen, enge weiße Lederhosen, grüne Jagdwesten mit Metallknöpfen, schwarze Krawatten und Wildlederhandschuhe. Die beiden jungen Leute, damals einunddreißig Jahre alt, waren nach dem Ausdruck jener Zeit reizende Kavaliere. Sie waren mittelgroß, aber gut gebaut, hatten lebhafte, wie bei den Kindern
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