Eine dunkle Geschichte (German Edition)
sich, die ein geliebtes Weib sich selbst angedeihen läßt. Sie machte die Moden mit und fuhr mehrmals nach Paris, um in Putz oder in irgendeiner Neuheit schöner zu erscheinen. Schließlich machte sie ihr Schloß trotz des lauten Geschreis ihres Vormunds zu dem allerbehaglichsten Wohnsitz in der ganzen Champagne, um ihren Vettern auch die geringsten Genüsse der Häuslichkeit zu verschaffen, die sie so lange entbehrt hatten.
Von diesem stummen Drama begriff Robert von Hauteserre nichts. Er merkte nicht mal, daß sein Bruder in Laurence verliebt war. Er neckte das junge Mädchen gern mit ihrer Koketterie, denn er verwechselte diesen abscheulichen Fehler mit dem Wunsche, zu gefallen. Aber so täuschte er sich in allem, was Empfindung, Geschmack oder höhere Bildung war. Und so machte denn auch Laurence, wenn der mittelalterliche Mensch in Szene trat, ihn alsbald, ohne daß er es merkte, zum »Einfältigen« im Drama. Sie belustigte ihre Vettern, indem sie mit Robert disputierte, und führte ihn Schritt für Schritt in die Sümpfe, in denen Dummheit und Unwissenheit versinken. Sie glänzte in jenen geistreichen Mystifikationen, deren Opfer glücklich bleiben muß, wenn sie vollkommen sein sollen. Aber so grob Roberts Wesen auch war, in dieser schönen Zeit, der einzigen glücklichen, die diese drei reizenden Menschen erleben sollten, trat er nie durch ein männliches Wort, das die Frage vielleicht entschieden hätte, zwischen die Simeuses und Laurence. Die Aufrichtigkeit der beiden Brüder machte ihm Eindruck. Zweifellos erriet Robert, wie sehr ein Weib davor zittern konnte, dem einen Zärtlichkeitsbeweise zu geben, die sie dem andern versagte oder die ihn gegrämt hätten; wie glücklich einer der Brüder über alles Gute war, das dem andern zuteil ward, und wie sehr er im Herzensgrunde darunter leiden mochte. Diese Achtung Roberts erklärt die Lage vortrefflich; in den glaubensstarken Zeiten, wo der Papst die Macht hatte, den gordischen Knoten solcher seltenen Erscheinungen zu durchschneiden, die an die undurchdringlichsten Geheimnisse stoßen, hätte sie gewiß Vorrechte erlangt. Die Revolution hatte diese Herzen im katholischen Glauben gestählt, und so machte die Religion die Krise noch furchtbarer, denn die Größe der Charaktere erhöht die Größe der Situationen. Und so erwartete auch weder Herr noch Frau von Hauteserre noch der Pfarrer und dessen Schwester irgend etwas Gewöhnliches von den beiden Brüdern oder von Laurence.
Dies Drama, das im Rahmen der Familie geheimnisvoll eingeschlossen blieb, wo jeder es schweigend beobachtete, verlief so rasch und zugleich so langsam, brachte so viele unverhoffte Freuden, kleine Kämpfe, enttäuschte Wünsche, gestürzte Hoffnungen, grausame Erwartungen, Verschiebungen der Aussprache auf den nächsten Tag und stumme Erklärungen mit sich, daß die Bewohner von Cinq-Cygne die Kaiserkrönung Napoleons gar nicht beachteten. Diese Leidenschaften schlossen übrigens einen Waffenstillstand, indem sie gewaltsame Ablenkung in dem Jagdvergnügen suchten, das den Körper überanstrengt und dadurch der Seele die Gelegenheit raubt, in den so gefährlichen Steppen der Träumerei umherzustreifen. Weder Laurence noch ihre Vettern dachten an die Welthändel, denn jeder Tag hatte ein pochendes Interesse. »Wahrhaftig,« sagte Fräulein Goujet eines Abends, »ich weiß nicht, wer von allen diesen Liebenden am meisten liebt!«
Adrien war mit den vier Bostonspielern allein im Salon; er blickte sie an und wurde bleich. Seit ein paar Tagen hing er am Leben nur noch durch das Vergnügen, Laurence zu sehen und sie sprechen zu hören.
»Ich glaube«, sagte der Pfarrer, »die Gräfin liebt als Frau mit mehr Hingabe.«
Gleich darauf kehrte Laurence mit den beiden Brüdern und Robert zurück. Die Zeitungen waren eben eingetroffen. England, das die Unwirksamkeit der Verschwörungen im Innern sah, waffnete Europa gegen Frankreich. Der Schicksalsschlag von Trafalgar hatte einen der außerordentlichsten Pläne vernichtet, die der Menschengeist je ersonnen hat, und durch den der Kaiser Frankreich seine Gegengabe für seine Wahl mit dem Untergang der englischen Macht dargebracht hätte. In diesem Augenblick war das Lager von Boulogne aufgehoben. Napoleon, dessen Soldaten wie stets zahlenmäßig unterlegen waren, wollte Europa auf Schlachtfeldern entgegentreten, auf denen er noch nicht erschienen war. Die ganze Welt war auf den Ausgang dieses Feldzuges gespannt.
»Oh, diesmal wird er unterliegen«,
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