Eine Ehe in Briefen
so ruhig und eintönig, daß es gar nichts zu berichten gibt. In Kotschety ist es sehr viel heiterer, und es sind viel mehr Menschen dort, überhaupt ist das Leben dort mehr in Bewegung.
In den letzten Tagen habe ich mich ausgiebig mit der Wirtschaft beschäftigt: Ich habe die Bücher und Abrechnungen des Verwalters geprüft, habe die Wege und Brücken reparieren lassen, das Wasser noch auf anderem Wege aus dem Seitenflügel pumpen und im Umkreis des Guts Bäume fällen lassen, und damit Sascha und Ljowa angesteckt, woraufhin der Fliederstrauch verschwand, der vor Saschas Fenster wuchs. Sie ist glücklich, daß nun mehr Licht ins Zimmer fällt und die Feuchtigkeit, über die sie klagte, verschwinden wird. Heute jedoch ist mir das alles schon wieder über, und ich werde nach Teljatinki 69 fahren, denn ich habe von dort gar nichts mehr gehört. Danach mache ich mich wieder an »Mein Leben«. Ich verbringe viel Zeit mit Ljowa, an den Abenden sitzen wir lange beisammen und unterhalten uns. Aus irgendeinem Grunde dauert er mich sehr; in Erwartung Deiner Rückkehr modelliert er Sascha, doch irgendwie gefällt mir das Resultat nicht. Gestern sprach er darüber abzureisen; da das Schiff aus Riga nur an Samstagen fährt, müßte er am Donnerstag hier losfahren. [...] Er wird vermutlich für die nächsten zwei Jahre nicht nach Rußland zurückkehren, und deshalb fällt ihm die Trennung von uns schwer. Ich versuche, ihn aufzuheitern und bin sehr liebevoll gegen ihn, doch er scheint überaus traurig. Ich erinnere mich daran, wie ich vor meiner Operation dem Tode nahe war 70 , mir alles im Leben so nichtig und sinnlos erschien, ein Vorsatz aber unzweifelhaft und klar war – nämlich, die anderen in ihrem Leben zu unterstützen, ihnen die Bürden des Lebens erträglicher zu machen; nicht in Worten, sondern in Taten, in persönlicher Anteilnahme. Allein, dies gelingt uns so selten, aber ich will es versuchen.
Lebe wohl, vergiß uns nicht.
Deine Sonja.
Die beiden Tanetschkas küsse von mir, sie schenkten mir so viel Liebe und Zärtlichkeit.
Allen anderen mein Gruß.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[21. Juni 1909]
[Kotschety]
Heute erhielt ich Deinen Brief, liebe Sonja, und antworte Dir sogleich. Es ergeht mir hier sehr gut. Mein Befinden ist nicht schlecht, die Kopfschmerzen sind verflogen. Die Arbeit geht voran. Den Aufsatz habe ich beendet, doch an etwas Neues, Künstlerisches habe ich mich noch nicht gewagt. Die Korrespondenz und das Tagebuch rauben sehr viel Zeit. Aber was soll ich über mich schreiben. Ich kann mich nicht enthalten, Dir zu raten, der Wirtschaft so wenig Bedeutung als möglich zuzumessen. Dies ist eine Angelegenheit, die tatsächlich nur schlechte und keineswegs gute Gefühle hervorruft. Den Menschen aber gute Gefühle entgegenzubringen ist weitaus wichtiger als jegliche Wirtschaft. Gestern bin ich viel geritten, heute war ich mit den drei Tanetschkas Pilze suchen. Sie haben riesige Steinpilze gefunden, und ich habe mich sehr angeregt und ernsthaft mit den Bauern des Dorfes, die Heu mähten, unterhalten. Ich bin froh, daß Ljowa noch nicht abreist und bemühe mich, früher zurückzukommen. Möchte Sascha nicht vielleicht auch hierherkommen? Wie stets denke ich voller Zärtlichkeit an sie und küsse sie. W[arwara] M[ichailowna 71 ] grüße ich. Ich küsse Dich und denke voller Liebe an Dich.
L.T.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[23. Juni 1909]
[Kotschety]
Heute erhielten wir Deinen Brief an Tanja, liebe Sonja. Mir geht es hier sehr gut, doch zugleich möchte ich nach Hause, Deinet-, Ljowas, Saschas und auch meinetwegen. Ich mag es nicht, mich im voraus festzulegen, doch ich glaube, daß ich bald zurückkommen werde. Heute erhielt ich einen Brief von Tschertkow, darin die Kopie des Briefes an Dich 72 . Er schlägt vor, die Erzählung »Der Teufel« dem Literaturfond 73 zu übergeben, der darum gebeten habe. Ich habe noch nichts entschieden. Die Erzählung gefällt mir nicht. Ich muß sie noch einmal lesen. Hier ist es mittlerweile ziemlich ruhig, viel ruhiger als in Jasnaja, hinsichtlich der Besucher. [...] Ich fühle mich gut. Ich arbeite ein wenig und habe noch so viel vor, daß es ganz klar ist, daß es sich dabei um unerfüllbare Träume des Alters handelt. Ich möchte meine mir noch bleibenden Monate, Tage, Stunden nicht umsonst leben, da mir nun so vieles, was mir früher unbekannt und verborgen blieb, klar geworden ist. [...] Ich wiederhole
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