Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
Vom Netzwerk:
Wenn ich Dir heute früh geschrieben hätte, wäre es ein heiterer Brief geworden, nun aber bin ich von neuem niedergeschlagen.
    Jetzt ist es bald 12 Uhr, ich bringe jetzt Iljuscha nach Koslowka.
    Lebe wohl mein Herz, ich küsse Dich und die Kinder.
    Die Treibhäuser sind bereits vorbereitet, laß Saatgut schicken.
    Ich komme, falls nichts dazwischenkommt, am Sonntag.
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    [3. März 1882]. Mittwoch, Abend.
    [Moskau]
    Heute verlief mein Tag nicht so ruhig und gut wie die Tage zuvor. Vielleicht will mir dies auch nur scheinen, da Agafja Michailowna mein Mitleid mir selbst gegenüber erweckt hat, und es erheiterte mich geradezu, daß, just, als ich Deinen Brief, den Ilja überbrachte, für mich las, Dein Bruder Serjosha zu Wassili Iwanowitsch 42 sagte, »Ja, Lew Nikolajewitsch hat es gut, er ist vom Schicksal verwöhnt mit einer solchen Frau: Er hat jemanden, dem er sein Herz ausschütten kann, wenn er traurig ist, sie bemitleidet ihn, wenn er niedergeschlagen ist. Wenn ich aber sage: ›Ich fühle mich schwach‹, dann antwortet meine Frau mir: ›Längst ist es an der Zeit für Dich zu sterben‹, oder ich sage: ›Ich fühle mich krank‹, dann antwortet sie: ›Der Veitstanz soll Dich zerreißen.‹«
    Dies war mein Tag: Das Erste, was mich erlangte, war zugleich auch das Schlimmste und Traurigste – Dein Brief. Dir scheint es schlechter und schlechter zu gehen. Ich bin zunehmend der Überzeugung, daß, wenn ein glücklicher Mensch unversehens im Leben nur das Schlechte sieht und vor allem Schönen die Augen verschließt, dies aufgrund von Krankheit so ist. Du müßtest Dich in Behandlung begeben. Ich sage dies ohne jegliche Bosheit, mir scheint dies eindeutig; Du tust mir unendlich leid, und würdest Du meine Worte und Deine Lage überdenken, ohne Dich über sie zu ärgern, dann könntest Du vielleicht einen Ausweg finden.
    Dieser schwermütige Zustand hat Dich ja auch früher schonerfaßt, vor langer Zeit. Damals sagtest Du »der Ungläubigkeit wegen« wolltest Dir das Leben nehmen. Und nun? Du lebst doch nicht mehr ohne Glaube, weshalb bist Du denn dann so unglücklich? Wußtest Du denn früher nicht, daß es Hunger gibt, Krankheit, Unglück und schlechte Menschen? Blicke doch besser so auf die Dinge: Es gibt auch Freude, Gesundheit, Glück und gute Menschen. Gott muß Dir helfen, was kann ich denn tun?
    Dann kam Ilja zu mir, seine Lippen und Stimme zitterten – sein Hund war verschwunden. Wir unternahmen alles nur Mögliche, ihn zu finden, er tat mir ja auch leid. Schon gestern abend war er verschwunden, ich wußte davon aber nichts. Gott sei es gedankt, er wurde gefunden, ein Bediensteter in der Nachbarschaft hatte ihn zu sich genommen. Dann fuhr ich aus zu zwei ermüdenden Besuchen, bei denen ich jedoch niemanden antraf. [...] Als ich zurückkam, unterrichtete ich Mascha, stillte Aljoscha, verhandelte mit den Pferdehändlern und den Kutschern, nun brodelt der Samowar, man ruft mich zum Tee, und ich bin in Eile. [...]
    Lebe wohl, mein liebster Freund, wie nur kann ich Dich trösten, mein Liebster, ich kann nur eines – Dich lieben und mit Dir mitleiden, doch dies brauchst Du jetzt nicht mehr. Was aber brauchst Du? Wenn ich es nur wüßte!
    Ich küsse Dich und beeile mich, den Brief abzusenden.
    Sonja.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    3. [März 1882], 10 Uhr des Abends.
    [Jasnaja Poljana]
    Wie tut es mir doch leid, mein liebes Herz, daß ich Dich mit meinen Briefen zermürbe. – Dies ist auf mein Gallenleiden zurückzuführen: Im Mund habe ich einen bitteren Geschmack, die Leber macht Ärger, und deshalb ist alles finster und niederdrückend.– Es kann mir nirgends besser gehen als hier, in Zurückgezogenheit und Stille.
    [...] Der Morgen war sonnig und warm, überall trällern die Lerchen, und der Ausritt war ein Vergnügen. Nun ist es windig, warm und bereits dunkel, aber ich fahre mit dem Schlitten nach Koslowka, gebe den Brief auf und hole Deinen ab. [...] Dein Brief wird mich glücklich machen.
    Die Leute kommen und betteln, doch ich gebe ihnen nichts – ich habe kein Geld. Aus irgendeinem Grund fällt es mir in diesem Jahr leichter, ich habe viel darüber nachgedacht, es schmerzt mich nicht allzusehr, wenn ich nichts gebe.
    Ist Iljuscha gut angekommen? Ist bei Dir alles in Ordnung? Was macht die Gesundheit? Sind die Kinder brav? Das alles ist das Wichtigste.
    Lebe wohl mein Herz. Denke nicht, ich fühlte mich ohne Dich

Weitere Kostenlose Bücher