Eine Ehe in Briefen
mich interessiert. Ich wollte Dir einen ganzen Abschnitt aus Seneca abschreiben, der lehrreich für Dich sein könnte hinsichtlich dessen, wie man sich jenem gegenüber verhält, das einem seelisch zuwider ist, wie Dir etwa die Stadt; aber er ist zu lang, die Zeit reicht nicht mehr, ich muß noch nachsehen, wie IljasSachen gepackt wurden. Gebe Gott, daß wir uns bald schon sehen, dann gebe ich ihn Dir zu lesen.
Heute wolltet Ihr die Möbel ins neue Haus bringen lassen. Wie langwierig und ermüdend dies alles doch ist! Es tut mir so leid, daß Du die ganzen Scherereien hast, doch ändern läßt es sich nicht. Lebe wohl, liebster Freund, ich küsse Dich und Serjosha und Ljolja.
Sonja.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[28. September 1882]
[Moskau]
Dienstag, 1/2 10. Iljuscha hat sich schlafen gelegt.
Bin sehr gut angekommen. Der Magen ist unverändert, aber Leibschmerzen habe ich nicht. Ich gebe acht beim Essen und hoffe, daß es morgen besser ist. –
Die jungen Männer 54 führen sich vorbildlich. Sie lernen viel und sind ruhiger und guter Stimmung. Ich traf beide über ihren Büchern an. Il[ja] wechselte ein paar Worte mit mir und ging dann weiterlernen. – Als ich ankam, war es bereits dunkel, ich fuhr zum neuen Haus und fand dort alles unerfreulicher als erwartet. [...] Das Treppengeländer ist wunderschön, allerdings sind die Sprossen so weit auseinander, daß ein Kind dort hindurchfallen könnte. Morgen berate ich mich mit dem Architekten, wie das zu ändern ist. Das Parkett ist noch nicht fertig, und so kann alles in Verzug geraten. [...] Insgesamt hat sich viel weniger getan, als ich erwartet hatte. Ich tue alles nur Mögliche und telegraphiere am Donnerstag. – Du möchtest sicher nicht weniger als ich bald wieder mit allen vereint sein. Das mit dem Haus macht mich Dir gegenüber verlegen. Bitte, sei nicht allzu streng.
Die Jungen sind sehr lieb. Ich bin so glücklich. Ich war bei Euch – und es war so schön, nun bin ich hier, bei den Jungen – und auch dies ist so schön.
Ich küsse Dich und die Kinder. Sei Aljoschas wegen nicht allzu besorgt. Morgen berichte ich ausführlich.
D[ein] L.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[30. September 1882]
[Jasnaja Poljana]
Donnerstagabend.
Lieber Ljowotschka, stell Dir vor, noch bevor wir Dein Telegramm 55 erhielten, haben wir alle hier nach Deinem Brief bereits entschieden, nicht vor Dienstag abzureisen. Wir waren also nicht überrascht, und ich war nicht allzu niedergedrückt, denn es ist sehr kalt, die Kinder husten, Mascha ist heiser, und Tanja litt heute unter Zahnschmerzen. Wenn wir Glück haben, wird es bis Dienstag etwas wärmer. Hier ist bereits alles gepackt, sogar der Flügel und die Familienportraits sind schon mit Baststoff eingeschlagen. Nur ein wenig Wäsche, einige unverzichtbare Garderobe und warme Kleidung ist noch nicht eingepackt. Ich werde bis auf weiteres also ruhig hier weiterleben, die Kinder unterrichten, schneidern und so tun, als ob ich den ganzen Winter hier bliebe. [...] Was mich aber heute morgen bei der Lektüre Deines ersten Briefes in leises Entsetzen versetzte, ist die Angelegenheit mit dem Treppengeländer. [...] Mittlerweile habe ich mich ein wenig beruhigt, aber ich bitte Dich nachdrücklich, die Sprossen erneuern zu lassen, das ist das Allerwichtigste. Sollte dies nicht geschehen, werde ich den Architekten beschimpfen und vor seinen Augen das Geländer mit Brettern vernageln lassen. Versteh bitte, daß man sonst nicht eine einzige Minute ruhig sein kann, da man stets fürchten muß, daß eines der Kinder hindurchfallen wird. [...]
Ich bin überzeugt, daß Du Dich überaus bemühst und Dich dies alles sehr ermüdet, und weil Dir dies alles schwer ist, tustDu mir leid. Ich werde gegen niemanden und nichts, das nicht schön geworden ist, streng sein, allein das, was für die Kleinen gefährlich sein könnte oder allzu unbequem ist, wird mich bekümmern. [...]
Dein Brief ist so schön, es war mir eine Freude zu lesen, daß Du glücklich bist. Ich habe mir so leidenschaftlich nur dies gewünscht – im letzten Jahr. Und nun zeigt sich, daß die Redensart wahr ist, daß tout vient à temps à celui qui sait attendre 56 . Doch ich will dies nicht derart auffassen, ich möchte glauben, daß Gott es mir schenkte, da ich es bei ihm erbat.
Lebe nun also wohl, auf Dienstag, liebster Freund. [...] Ich küsse Dich. Danke Serjosha und Ilja dafür, daß sie artig sind. Auch sie
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