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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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Uhr des Abends, es ist Samstag.
    Wir 37 sind also direkt nach Koslowka gefahren. [...] Zwei Schlitten erwarteten uns, und wir sind bestens angekommen, tranken Tee und gingen zu Bett. Mir ergeht es ebenso wie beim letzten Mal – ich fühle mich schrecklich müde, schwach, empfinde leise Traurigkeit und Kraftlosigkeit. – Es scheint, ich brauche Erholung.
    Iljuscha und ich schliefen in einem Zimmer, wachten spät auf. Es erschien Michal Fom[itsch] 38 , machte Ordnung, dann gingen Ilja und er auf die Jagd. Sie sahen einen Hasen, erlegten ihn aber nicht. Ich war bis 3 zu Hause, konnte jedoch meiner Mattigkeit wegen nicht arbeiten und las in alten Revue [ s ] 39 einige hervorragende Aufsätze über religiöse Fragen und überdachte das Gelesene. Dann ritt ich aus und erging mich weiter in tiefgreifenden Überlegungen. Als ich zurückkam, gab es Essen: Bouillon, ungenießbares Hühnchen mit Sago statt Reis, doch die Kartoffeln mit Sauerrahm glichen dies aus. Morgen gibt es bereits Rindfleisch.
    Ich werde Dir regelmäßig schreiben, schreibe Du mir bitte auch. [...] Heute blickte ich zum Kusminski-Haus hinüber unddachte: Warum nur quält er sich so mit seinem Dienst an einem Ort, der ihm nicht gefällt, mit ihm quälen sich all die Seinen und wir alle ebenso. Es wäre doch viel schöner, wenn wir alle sommers wie winters auf Jasnaja lebten – und uns hier selbst um die Erziehung der Kinder kümmerten. – Aber ich weiß, daß alles Absonderliche möglich ist, das Vernünftige indes unmöglich. –
    Lebe wohl mein Herz, ich küsse Dich und die Kinder.
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    [1. März 1882]
    [Moskau]
    Warum bist Du denn nur immer so niedergeschlagen, mein Lieber? Hier wie dort bist Du trüber Stimmung! Man muß sich doch glücklich fühlen, so lange Gott einem Glück schenkt. Hast Du denn wirklich gar keine Freude mehr?
    [...] Ich habe heute nacht gar nicht geschlafen, der Kleine ließ mich nicht, und der Rücken schmerzt furchtbar; aber ich fühle mich in der Seele ruhig und liebe Dich und alle anderen. Du schreibst: »Es wäre schön, wenn die Kusminskis und wir auf dem Land zusammenlebten und uns selbst um die Erziehung und Ausbildung der Kinder kümmerten.« Die Erziehung und Ausbildung der Kinder macht das Dir verhaßte Leben in der Stadt aber doch notwendig. [...] Dies alles ist mühevoll, schwierig und nicht ohne Gefahr mit einer erwachsenen Tochter. Nun, in einem Brief darüber zu schreiben ist allzu kompliziert. [...] Sei unseretwegen unbesorgt, alles ist erträglich und ersprießlich, alle sind wohlauf. Deine Schwäche und Mattigkeit haben mich sehr bekümmert; Deine Nerven sind zerrüttet; doch sie werden, mit Gottes Hilfe, wieder gesunden und Du wirst wieder zu Kräften kommen.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [2. März 1882]
    [Jasnaja Poljana]
    Iljuscha wird Dir über mich berichten. Ich habe heute zu schreiben versucht, aber nur wenig geschafft. Immer noch empfinde ich diese Müdigkeit, doch ich fühle mich schon ein wenig frischer. – Briefe von Dir habe ich noch nicht erhalten und bin beunruhigt. Heute war ich kaum draußen – das Wetter ist schlecht. Ich lege Patiencen, lese und denke nach. – Allzusehr möchte ich den Aufsatz, den ich begonnen habe, fertig schreiben, wenn es mir allerdings diese Woche nicht gelingen will, so wird mich dies auch nicht allzusehr betrüben. Jedenfalls ist es für mich sehr gesund, mich von diesem geschäftigen Leben der Stadt in mich selbst zurückzuziehen, die Überlegungen anderer über Religion zu lesen, dem Geschwätz von Ag[afja] Mich[ailowna] 40 zu lauschen und nicht über die Menschen, sondern über Gott nachzudenken. Gerade hat mich Ag[afja] Mich[ailowna] mit ihren Erzählungen über Dich amüsiert und darüber, wie es mir ergangen wäre, wenn ich die Arsenjewa 41 geheiratet hätte. »Jetzt aber sind Sie fortgefahren und haben Ihre Frau dort mit den Kindern zurückgelassen – soll sie mit all dem alleine fertig werden! – Und Sie sitzen hier und lassen Ihren Bart gedeihen.«
    Das war sehr gut. Ihre Erzählungen über die Hunde und Katzen sind amüsant, doch sobald die Rede auf die Menschen kommt, wird mir traurig zumute. Der eine muß betteln, ein anderer hat die Fallsucht, der dritte die Schwindsucht, wieder einer liegt gelähmt, und der nächste schlägt seine Frau oder hat die Kinder im Stich gelassen. Überall Leiden und Übel, und die Menschen haben sich daran gewöhnt, daß es so ist. –

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