Eine Ehe in Briefen
Kinder allein zu lassen und darüber hinaus, einen Schlag zu bekommen – vor lauter Anspannung schmerzen der Nacken, die Schläfen und das ganze Gesicht. Den ganzen Tag bange ich und erwarte die Nachricht, daß man uns irgend etwas antut. Es wird traurig sein: Du wirst ausgewiesen, mich trifft der Schlag, und unsere Kinder bleiben allein zurück. Und wofür das alles, wenn man sich das einmal überlegt! [...] Wozu die Menschen in ihrer Bosheit doch fähig sind!
Ich habe überallhin geschrieben, wie ich es konnte. Doch ich bin mit den Briefen nicht zufrieden. Ich bin viel zu erregt, daß ich nicht gut und klug vorzugehen vermag. Wenn wir nur alle beisammen wären, so wäre dies alles nicht so schwer! [...] Esmutet geradezu komisch an, wenn ich mich daran erinnere, wie besorgt Du, Ljowotschka, warst, damit ich nicht fröre. Wenn Du wüßtest, wie viel schlimmer und beängstigender mein derzeitiger Zustand ist als Krankheit und Schmerz. [...] Heute abend war M-me Junge 60 bei mir und half mir beim Abfassen der Briefe. Wenn sie nicht gewesen wäre, so hätte ich sicher den Verstand verloren. Die Kinder hatten Tanzunterricht bei Grot, ich war nicht dort.
Lebt wohl, meine Lieben, ich kann nicht weiterschreiben, es ist bald zwei Uhr in der Nacht, und so viel habe ich geschrieben. [...] Ich erwarte Eure Nachrichten. Das Wetter ist mittlerweile besser, nur leichter Frost. Anbei auch die Zeitungen.
S. Tolstaja.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[12. Februar 1892]
[Begitschewka]
[...] Es tut mir außerordentlich leid, liebste Freundin, daß Dich das dumme Gerede über den Artikel in den »M[oskowskije] w[edomosti]« derart beunruhigt, daß Du gar dessentwegen Sergej Alexandowitsch 61 aufgesucht hast. Es ist doch gar nichts geschehen. All das, was ich in dem Artikel über die Hungersnot schrieb, wurde schon oft in noch schärferer Form geschrieben. Was ist denn daran neu? Es ist wie eine Massenhypnose, wie eine Lawine, die sich bildet und heranrollt. Eine Gegendarstellung habe ich geschrieben 62 . Doch ich bitte Dich, liebste Freundin, nicht ein Wort daran zu ändern und nicht ein Wort hinzuzufügen und auch niemandem zu gestatten, daran etwas zu ändern. Ich habe jedes einzelne Wort gewissenhaft überlegt und alles wahrhaftig dargelegt und die fälschliche Anschuldigung genauestens widerlegt.
Ich küsse Dich und die Kinder.
L.T.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[16. Februar 1892]
[Moskau]
Nicht laut vorzulesen.
Sei bedankt, liebster Ljowotschka, für den Brief an den »Prawitelstwenny westnik«. Wenngleich Sergej Alexandrowitsch mir sagte, es sei wünschenswert, daß Du selbst eine Gegendarstellung für den »Prawitelstwenny westnik« verfaßt, weil dies die Gemüter beruhigen sowie auch den Zaren zufriedenstellen würde, so weiß doch nur Gott, ob sie sie tatsächlich publizieren werden. Auf meine Richtigstellung, die ich an den »Prawitelstwenny westnik« geschickt hatte, antwortete mir der Redakteur Slutschewski, die Zeitschrift veröffentliche keine Streitschriften. [...] Dies weiß Großfürst Sergej Alexander möglicherweise nicht. Nun denn, sei es drum. Scheremetewa wird den Brief, den ich ihr schrieb, dem Zaren vorlegen. Dies ließ Alexandra Andrejewna mir übermitteln. [...] Nun bin ich etwas beruhigt. In der Moskauer Gesellschaft heißt es: » La pauvre comtesse, comme elle est dérangée « 63 u.ä. Gestern sagte mir jemand, die Großfürstin 64 bedauere mich sehr und ließe mir ausrichten, ich solle mich nicht beunruhigen, » qu’ il n’ y a rien, rien à caindre .« 65 Wobei das zweite rien besonders betont wurde. [...]
Tanja sagte zu irgend jemanden hier in Moskau: »Wie bin ich es doch müde, die Tochter eines berühmten Vaters zu sein.« Und auch ich bin es müde, die Gattin eines berühmten Mannes zu sein. [...]
Des weiteren beunruhigt mich, daß Mascha mehrmals selbst nach Tschernawa gefahren ist. Sollte sie vielleicht heimlich Briefkontakt zu Petja aufgenommen haben 66 ? Dies wäre ganz und gar nicht wünschenswert. Was soll nur dabei herauskommen, wenn sie ihr Leben lang heimliche amouröse Affären pflegt, welche zerplatzen wie die Luftballons von Kindern und nur Schandflecken und Gewissensbisse bei ihr hinterlassen, diesie nie wieder los wird! So sie ein Gewissen hat – woran ich allerdings zweifle, denn Menschen mit Gewissen tun nichts heimlich, sondern zeigen und sagen alles offen und ehrlich. – Sollte ich mich täuschen und sie
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