Eine Ehe in Briefen
Nur die absolut Unbedarften, von denen jene, welche zum Hofstaat gehören, die Dümmsten sind, können das, was ich geschrieben habe, nicht kennen und der Überzeugung sein, solcherlei Ansichten wie die meinen könnten vom einen auf den anderen Tag revolutionäre werden. Dies alles ist lächerlich. Und mit solchen Leuten zu disputieren ist für mich erniedrigend und beleidigend.
Ich fürchte, Du wirst mich für diese Worte schelten, liebste Freundin, und mir Stolz vorwerfen. Doch dies wäre ungerecht. Es ist nicht Stolz. Es sind jene Grundsätze des Christentums, nach denen ich lebe, die nicht den Forderungen unchristlicher Menschen unterworfen werden können, und ich verteidige nicht mich selbst oder fühle mich selbst beleidigt, sondern fühle jene Grundsätze meines Lebens beleidigt.
Dennoch habe ich die Erklärung geschrieben, denn – wie der liebe Grot mir ganz richtig schrieb – die Wahrheit sollte man auf jeden Fall erklären. Und jene, welche meine Portraits zerreißen, haben diese ganz überflüssigerweise besessen.
So viel also habe ich auf nüchternem Magen geschwatzt. Und habe wohl, wie ich fürchte, auf keine wichtigen Fragen geantwortet und nichts Wichtiges gesagt. [...] Ich küsse Dich fest.
L.T.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[1. März 1892]
[Moskau]
Gestern habe ich Deinen langen Brief erhalten, liebster Freund, in welchem Du schreibst, ich soll nicht die Rolle der Angeklagten annehmen. Zu allem Unglück entspricht dies ganz und garnicht meinem Charakter, im Gegenteil: Ich habe die Rolle der Beleidigten, Gekränkten angenommen, die bereit ist, sich von allem Russischen loszusagen und mit all ihren Kindern in ein anderes europäisches Land zu gehen. Nur eines macht mich traurig, und dies sage ich auch, nämlich daß der Zar ebenfalls in die Irre geleitet wurde; er ist tatsächlich sehr gütig, und dies ist nach allem, was man hört, noch offensichtlicher, da er Dir, trotz allen Aufruhrs, der um ihn herum herrscht, von ganzem Herzen wohlgesinnt bleibt und Dich keineswegs für einen Revolutionär hält. [...] Die von Dir unterschriebenen Exemplare Deiner Erklärung werde ich mit Grot (der mittlerweile auch an der Influenza erkrankt ist) an alle wichtigen russischen Zeitungsredaktionen versenden, vielleicht auch an einige im Ausland. Wenn Du mir auch nicht gestattest, Dich als stolz zu empfinden, so kann ich doch nicht finden, daß Du Dich den Dingen fügst. Indem Du Dich hinter den christlichen Prinzipien versteckst, bist Du trotz allem entrüstet, ich fühle dies und empfinde ebenso ohne den christlichen Schutzschild. Wahres Christentum ist folgendes: Wird man geschlagen, beschimpft, verfolgt, verleumdet, so antworte man: »Liebet einander«. Dies ist das Ideal, ich aber kann dies nicht, doch ich sage ja auch nicht, daß ich Christin bin.
[...]
In welcher Verfassung kam Ljowa bei Euch an? Ich ließ ihn schweren Herzens zu Euch, sowohl seelisch als auch körperlich geht es ihm nicht allzugut. Tanja geht es bereits sehr viel besser, aber trotzdem weiß ich nicht, ob es gut ist, wenn ich sie am Mittwoch schon zu Euch reisen lasse. Doch ich fürchte auch um Dich, und ich hoffe, daß Mascha ihre Amouren für einige Zeit vergessen hat und sich in jeglicher Hinsicht um Dich kümmert.
Ich habe große Sehnsucht nach Dir, und wenn ich nicht wüßte, daß ich Euch dort überhaupt keine Hilfe bin, so würde ich zu Euch kommen.
Den Kindern geht es besser, doch sie bleiben noch im Hause. [...] Meine Gesundheit ist gut, das Nahen des Frühlings hebt trotz allem die Befindlichkeit. Ich küsse Dich und die Kinder. S. Tolstaja.
1. März 1892.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[17. Juli 1892]
[Jasnaja Poljana]
Mein liebster Freund Ljowotschka, endlich habe ich einen Brief von Dir erhalten; Du schreibst, Du seiest wohlauf, doch fühltest Dich schwach, daß sich eine neue Hungersnot ankündige, Ihr Eure Arbeit dort bis September unterbrecht und noch nicht wißt, was Ihr dann tun werdet. Wie stets legte sich nach diesem Brief aus Begitschewka ein Stein auf mein Herz, mein Atem stockte, und ich wollte in Tränen ausbrechen. [...] Ein einziges Mal will ich jedoch meine Ansicht und meine Gefühle hinsichtlich der Zukunft kundtun. Ich meine, daß Du physisch nicht in der Lage bist, noch einmal in derart beschwerlichen Umständen zu leben wie im vergangenen Jahr, und daß Du moralisch nicht recht daran tust, Deine letzte Kraft und Deine letzten Jahre etwas
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