Eine Ehe in Briefen
natürlich ansehen. [...] Es wird reizvoll für mich sein, schließlich ist es ein Teil von Dir, und ich hoffe, daß es mir gefällt.
Wir reisen am 19. mit dem Postzug von hier ab und werden am 20. mit dem Eilzug in Jasnaja eintreffen. Ich telegraphiere noch einmal. Ich gehe nun zu Bett, denke an Euch, an Jasnaja, daran, daß ich bald wieder dort und bei Euch sein möchte. Bis dahin küsse ich Euch alle, verzeiht meinen unzusammenhängenden Brief, ich bin sehr müde.
S. Tolstaja.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[25. Oktober 1895]
[Jasnaja Poljana]
Noch am Tag Deiner Abreise wollte ich Dir, liebste Freundin, unter dem Eindruck jenes Gefühls schreiben, welches ich empfand, doch nun sind bereits anderthalb Tage vergangen und erst heute, am 25., schreibe ich Dir nun. Das Gefühl, welches ich empfand, war eine solche Ergriffenheit, ein solches Bedauern und eine ganz neue Liebe zu Dir, eine solche Liebe, die mich ganz in Dich hineinversetzte und mich all das empfinden ließ, was auch Du empfandest. [...] Diese unsere Liebe ist so eigentümlich wie die Abenddämmerung. Bisweilen nur trüben sie Wolken Deines Nichteinverständnisses mit mir und meines mit Dir und dämpfen ihr Licht. Ich hoffe, daß sie sich, noch bevor es Nacht wird, verziehen werden und der Sonnenuntergang hell und klar sein wird.
[...]
Uns allen geht es gut. Ich ziehe morgen nach oben um, damit die unteren Zimmer nicht geheizt werden müssen. [...] Was macht Deine Gesundheit, und wie ist Dein Verhältnis zu den Söhnen? Beides ist sehr wichtig. Wenn sie doch nur Mitleid mit Dir hätten und Dich verstünden, wenigstens den hundertsten Teil dessen, wie ich es tue. – Ich hoffe nur, sie betäuben sich nicht, eilen nicht immerfort aus dem Haus und kränken Dich nicht, denn sie beide lieben Dich. Ich küsse sie und die liebe Sascha. Ohne sie ist es leer hier und ohne ihr Lachen nicht so fröhlich wie sonst. Lebe wohl, auf bald.
L.T.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
Moskau, den 26. Oktober 1895, am Abend.
Mein lieber Ljowotschka, eigentlich war ich drauf und dran, mich heute abend der Melancholie hinzugeben, als ich gleichdrei Briefe unterschiedlichsten Inhalts erhielt, die mir Türen öffneten, durch die ich Licht, Frohsinn und Veränderung erblickte. Dein Brief war das Licht, auch Ljowas, den ich danach las und der voller Liebe und Zärtlichkeit für mich ist; dann der Brief von Mischa Stachowitsch – er war Frohsinn und Veränderung. Er ist ganz erfüllt von der »Macht der Finsternis«. Er ißt nicht, schläft nicht, arbeitet an seiner Inszenierung, ist aufgeregt entzückt, ja pathetisch gar, fragt mich, wie das Stück in Petersburg aufgenommen wird, und hat mit seinem Brief einen solchen Aufruhr in mir hervorgerufen, daß ich mich am liebsten in die Inszenierung hier in Moskau im Kleinen Theater einmischen würde, damit sie ganz und gar gut werde. Ich hatte dies eigentlich bereits verworfen. Erlebten wir beide nicht gerade unsere Abenddämmerung, wie Du unser Verhältnis so poetisch und schön beschreibst, dann könnte man sich dem Erfolg, den »Macht der Finsternis« genießt, hingeben und stolz darauf sein. Das Stück wird überall gespielt [...].
Das Verhältnis zu den Söhnen war heute sehr gut. Mischa lernt artig, auch Andrjuscha ist willig und macht seine Aufgaben. Sascha wird nunmehr bereits von der Russischlehrerin und M-me Fridman unterrichtet. Heute stellte sich eine sehr sympathische Schweizerin vor, ich glaube, ich nehme sie. Es ist schon spät im Jahr, alle Gouvernanten haben bereits eine Anstellung gefunden, die guten schon längst. Ich war heute viel unterwegs, habe Papier für »Kindheit« gekauft, Einkäufe gemacht und Sachen beim Schneider abgeholt. [...]
Besuch hatten wir heute nicht. Ich habe viel Klavier gespielt 133 und mich um die Kinder gekümmert. Es ist wahr, daß sie mich aufrichtig lieben, dies ist mein größtes Glück. Heute aber war mein größtes Glück Dein Brief und der von Ljowa und das Verhalten der Söhne gegen mich. Jene Wolken, die, wie es Dir scheint, bisweilen unsere gute Beziehung trüben – sie sind ganz und gar nicht bedrohlich. Sie sind rein äußerlich – Auswirkungen des Lebens, der Gewohnheiten, der Bequemlichkeit sie zuverändern und der Schwäche –, entspringen aber keineswegs seelischen Gründen. Das Innere, die Grundlage unseres Zusammenlebens, selbst bleibt unverrückbar und einmütig. Wir beide wissen, was gut und was schlecht ist,
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