Eine Ehe in Briefen
seid satt geworden, nun, Gott sei Dank dafür, nun, Gott sei mit Euch ...« Die Frauen bekreuzigten sich, bedankten sich wieder und gingen durch das Tor hinaus, dann wurden die nächsten eingelassen. [...] Ich unterhielt mich mit einer Nonne, sie war um die 50 und weinte immerfort, als ich sie etwas fragte, wiederholte sie ohne Unterlaß: »Mein Herz ist zu Stein geworden, viele Sünden habe ich auf mich geladen, oh, so schwere Sünden. Seit 30 Jahren bete ich nun schon und kann doch keine Vergebung finden, mein Herz ist zu Stein geworden!«
Zum Essen war ich wieder zu Hause, wieder nahm ich die Pferdebahn. 116 [...] Lebt wohl. Hier sind alle wohlauf, alles ist beim alten. Ich küsse Euch.
S. Tolstaja.
1895
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[6. Januar 1895]
[Moskau]
Noch nicht einen richtigen Brief habe ich Euch geschrieben, liebster Freund Ljowotschka. Es ist schade, daß sich das, was Du Dir erhofftest, als Du nach Nikolskoje fuhrst, bis jetzt nicht erfüllt hat. Ich meine Dein Vorhaben, jenes niederzuschreiben, das Du schon lange erdacht hast 117 . Dies ist nun vielleicht bereits Vergangenheit, und Du läßt Dich von der Natur, der anderen Umgebung und den lieben Menschen dort inspirieren. Wie geht es Dir und Tanja beim jetzigen Tauwetter? Ich fürchte, daß es sich auf Eure reizbaren Organismen abträglich auswirken wird. Nun zu uns. Gestern weckte mich um 8 Uhr in der Frühe die Njanja mit den Worten: »Wanetschka ist krank.« Wie oft in meinem Leben schon blieb bei diesen Worten mein Herz stehen: Tanetschka, Iljuscha, Serjosha, Petja, Aljoschausw. usf. ist krank. Ich fühle diesen wunden Punkt in meinem Herzen so brennend und mit zunehmendem Alter nur noch schmerzlicher. – Wanetschkas Fieber war derart hoch, daß ich sogar zu messen fürchtete und sogleich nach Filatow schicken ließ [...]. Er befand sogleich, daß es sich um eine Darmverstopfung handelte, gab ihm Rizinusöl, und am Abend war das Fieber vorüber. Heute stand Wanetschka bereits wieder auf, ist noch ein wenig blaß, und ich habe mich wieder beruhigt. Gestern kamen Ilja und Andrjuscha, der Ilja so abgöttisch liebt, daß es geradezu komisch ist. Ilja ist laut, redet grob daher, aber gutmütig und sehr lieb im Umgang mit mir. Gestern sprach er über Gelddinge und verurteilte Serjosha hart. Diese Gespräche, die nach der Aufteilung des Besitzes immer noch kein Ende gefunden haben, sind unerfreulich und unerschöpflich, es ist sehr schwer. Ilja und seine Frau lebten auf allzu großem Fuße, und nun geht es ihnen schlecht, dies ist offensichtlich.
[...]
Ich bin ohne Euch nicht allzu traurig, bin glücklich, daß es Euch gut geht, daß wenigstens Ihr Euch an der Natur erfreuen könnt, die ich erst jetzt im Alter richtig zu lieben gelernt habe. Die Tatsache, daß ich gerade keine Sorgen habe und von lieben Menschen umgeben bin, tut mir so gut.
Gerade ist Wanetschka gekommen und bat mich, Euch zu küssen und grüßen. Auch ich küsse Dich und Tanja.
S. Tolstaja.
6. Januar 1895.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[8. oder 9. Januar 1895]
[Nikolskoje-Oboljanowo 118 ]
Ich habe Tanja gebeten, sie möge Euch schreiben, doch auch ich selbst verspüre Lust dazu, obwohl es eigentlich nichts zu berichten gibt. [...] Seit drei Tagen ist das Wetter hier prachtvoll,und ich gehe viel spazieren. [...] Tanja sieht nicht mehr so abgemagert aus, sie schläft gut, und auch ich bin vollauf gesund, doch schreibe nur wenig. [...] Es ist gut, daß Deine Angst um Wanetschka sich als unbegründet erwies, doch es ist nicht gut, daß Du Dich solcherlei Ängsten derart hingibst. Es ist ganz offensichtlich richtig, daß alte Frauen keine Mütter mehr werden können, denn sonst würden sie an ihren Ängsten sterben, bevor sie ein hohes Alter erreichten.
[...] Nikolskoje liegt zwar nicht so weit von Moskau entfernt wie Jasnaja, trotzdem sind die Briefe länger unterwegs. Seit langem haben wir nichts von Euch gehört. Schreibe mir bitte über alles, was wichtig ist: über Ljowas Befinden, Deinen Seelenzustand und das Betragen der Knaben. Wir kehren ja schon bald zurück, doch ich möchte all dies genau wissen. Es fehlt mir, es nicht zu wissen.
Mir gefällt hier alles sehr gut, bis auf die Tatsache, daß ich meine Überzeugungen nicht kundtun kann. [...] Die ganze Zeit über fühle ich mich erschöpft, die Arbeit will nicht vorangehen – dies stimmt mich verdrießlich, und dies wiederum beschämt mich. Wenn man keine
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