Eine Ehe in Briefen
Kraft und Lust zu schreiben verspürt, heißt dies wohl, daß man es nicht sollte. Ein rechtes Leben führen zu können, d.h. nichts Böses zu tun, ist wichtiger als alles Schreiben.
Nun also, lebt wohl, auf bald. [...] Du tust mir so leid, ich denke oft an Dich und mir scheint, daß Du nicht glücklich und froh bist und Dich über Dein Leben beschwerst. Dies ist Sünde. Tue alles mit Freude, und wenn Du dies nicht vermagst, so sei zumindest offen für jede Freude, die da kommen mag und ergreife sie, so Du kannst.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
26. April 1895
[Kiew]
Mein lieber Ljowotschka, immerfort quält mich die Frage, warum ich nur fortgefahren bin von Dir und Euch allen und den mir so teuren Erinnerungen an Wanetschka 119 , und bisweilen verspüre ich den Wunsch, unverzüglich nach Hause zu reisen. Doch meine Schwester Tanja und auch Sascha 120 , Vera 121 und die Knaben sind derart lieb gegen mich, bemühen sich so sehr um mich, sind so taktvoll in Hinsicht auf meine Trauer, daß dies unendlich anrührend ist und mich sehr dankbar sein läßt. [...] Ohne Unterlaß denke ich an Dich, an Tanja und an Andrjuschas Zähne, an Saschas Zehen und an Mischas Prüfungen. Meine verschreckte Seele fürchtet alles, und ich fürchte alles, was das Schicksal bringen mag. [...] Heute nachmittag überredete Sascha uns zu einem Spaziergang im Botanischen Garten. Dies waren bisher die schönsten Eindrücke hier: ein hügeliger, riesiger Park, Kastanienalleen, der Park in ganz frischem Grün, das noch keinen Schatten spendet, und allerorten Nachtigallen. Doch natürlich rief diese schöne und beglückende Natur des Frühlings wie alles andere Verzweiflung und Tränen hervor. Tanja tut mir so leid, sie weint die ganze Zeit zusammen mit mir. Ich bemühe mich, mich zurückzuhalten, [...] doch ich kann nicht an mich halten und nichts auf dieser Welt, dies weiß ich nun ganz genau, wird meine Verzweiflung zu mindern oder gar zu heilen imstande sein.
Mascha ist immerfort unterwegs, heute war sie im Höhlenkloster 122 , bewunderte den Dnjepr, der jetzt im Frühling einen ebenso großartigen Eindruck vermittelt wie die Wolga. [...] Mitja 123 fragt mich ohne Unterlaß nach Wanetschka, ist sehr lieb zu mir, nimmt mich bei der Hand und versucht, mich abzulenken. Wenn ich ihm von Wanetschka erzähle, dann seufzt er und sagt »Ja, ja.« Er denkt voller Ehrfurcht an ihn. [...] Gestern abend habe ich ihm Wanetschkas Hund aus Bronze geschenkt,und als er zu Bett ging, legte er den Hund auf ein Kissen neben sich und deckte ihn mit einem Tuch zu. Wir beide sprechen viel miteinander und erinnern uns an glücklichere Zeiten. – Ich fühle mich immer noch schwach, mein Körper gesundet, nicht jedoch meine Seele.
Von Euch haben wir noch keinen Brief. Wie geht es Dir, lieber Ljowotschka? Wie geht es Tanja, in welcher Seelenstimmung ist sie? [...] Ich küsse Euch alle zärtlich und fest. [...] Lebe wohl, liebster Freund. Vergiß mich nicht.
S. Tolstaja.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[21. Mai 1895]
[Moskau]
Am Abend erhielten wir Euren Brief und haben uns sehr darüber gefreut. [...] Gestern kam ein Brief von Ljowa, der schreibt, er werde im Sommer nicht nach Jasnaja kommen, der Seitenflügel sei also frei. Am Abend war Tanejew 124 zu Besuch, wir haben alles noch einmal besprochen und vereinbart, daß er die Räume dort für 125 Rubel für den Sommer über mieten wird. Er bat inständig, 150 R[ubel] bezahlen zu dürfen. [...] Heute ist Pfingsten. Des Morgens war ich sehr schwermütig und ging, wie immer in einer solchen Stimmung, ein wenig im Garten umher. [...] Dann machten Tanja und ich uns ganz wie jeden Tag an die Korrekturen, und später fuhr sie zum Dentisten, der ihr eine Wurzel zog, das Zahnfleisch reinigte und einschnitt, was sie ganz furchtbar mitgenommen hat, so daß wir uns bei den Ratschinskis etwas verspäteten.
Ratschinski 125 begrüßte uns mit den Worten: »Das ist wohl Schicksal«, wollte noch etwas hinzufügen, doch er hielt inne. Ich fragte: »Können wir einander gratulieren?« und er erwiderte: »Warum sollten wir uns denn nicht gratulieren?« Wir zogen uns ins Arbeitszimmer zurück, und er legte mir dar,das Schicksal habe Manja 126 unsere Familie und Serjosha geschickt, damit sie errettet werde. Er ist offensichtlich von dieser Geschichte in England derart erschreckt, daß die Ehe mit Serjosha ihm als großer Glücksfall erscheint 127 .
Von dort fuhr Manja mit
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