eine Elfenromanze
wurde sie von mehreren der Gäste belächelt, doch sie nahm es mit einem Achselzucken hin. Sie hatte noch nie zu den besonders kräftigen gezählt. Jemand wie Bruna hätte leicht das volle Tablett mit einer Hand tragen und mit der anderen die Krüge austeilen können, doch Bruna war auch ein Mensch. Selina hatte sich schon als Kind damit abgefunden, dass sie anders war als jene, mit denen sie im Alltag zu tun hatte. Was ihr an Stärke fehlte, machte sie jedoch durch Wendigkeit und Ausdauer wieder wett. So würde sie noch hundert Mal von der Theke zu den einzelnen Tischen und wieder zurück laufen können, bevor sie müde werden würde. Methodisch würde sie einen Tisch nach den anderen abklappern, Bestellungen aufnehmen und Getränke austragen. Ja, so würde es funktionieren!
Selina war soeben wieder auf dem Weg zum Tresen, als hinter ihr ein Mann rief: „He, Mädchen! Wo hast du Bier ausschenken gelernt? Im Armenhaus? Da ist ja nur Schaum im Krug!“
Selina fuhr verschreckt zusammen.
„Genau!“, pflichtete ein anderer dem ersten Rufer bei. „Ich habe für ein ganzes Bier bezahlt! Mein Krug ist nicht einmal halb voll!“
Selina sah verzweifelt auf die letzten beiden Krüge, die noch auf dem Tresen standen und auf die durstigen Gäste warteten. Der Schaum war mittlerweile zusammengesunken und jetzt konnte sie erkennen, dass das Bier darunter gerade bis zur Hälfte des Gefäßes reichte.
Und was nun? Selina dachte an die vielen Krüge, die sie bereits verteilt hatte. Sie konnte sie kaum alle wieder einsammeln und erneut füllen. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, in die Küche zu laufen und Bruna um Hilfe zu bitten. Doch die Wirtin war mit der Vorbereitung der Speisen beschäftigt und würde wenig Verständnis zeigen. Sie wäre nur noch mehr verärgert über ihre Magd, die scheinbar nichts richtig machen konnte. Auch wurden einige Gäste bereits unruhig und würden sich nicht gedulden, bis Selina das Ausschenken von Bier erlernt hatte. Nein, Selina musste jetzt sofort handeln.
Entschlossen nahm sie die letzten beiden Krüge und durchquerte abermals den Raum. Sie wusste, dass sämtliche Augen auf ihr ruhten, als sie gezwungen selbstsicher rief: „Alle, die jetzt ein Bier bekommen haben, kriegen nachher eine Runde von mir gratis.“ Das würde zwar eine ganze Menge mehr schmutziges Geschirr bedeuten, das letztendlich wieder an ihr hängen bleiben würde, doch sie konnte wohl kaum davon ausgehen, dass sie es schaffen würde, bei der zweiten Runde mehr als nur Schaum in die Krüge zu füllen, und so barg ihre Notlösung keinen Verlust für den Gasthof in sich. Im Endeffekt hätte schließlich jeder einen vollen Krug Bier erhalten – auf Raten sozusagen. Selina beglückwünschte sich innerlich zu dieser diplomatischen Lösung.
„Eine Runde gratis?“, grölte ein breitschultriger Mann, als die Halbelfe gerade an ihm vorbeiging. Seine Hand schnellte vor und packte einen Zipfel ihrer Schürze. Selina blieb abrupt stehen und warf dem Kerl einen warnenden Blick zu. Sie hasste es, von fremden Leuten angefasst zu werden.
Der Mann stand laut lachend auf. „Du besorgst mir also eine Runde gratis? Na, lass sehen, ob du eine Halbe Bier wert bist, Schätzchen!“, rief er und die Männer, die mit ihm am Tisch saßen, brachen in schallendes Gelächter aus.
Selina zögerte. Sie war sich nicht sicher, ob sie die Worte des Mannes wirklich richtig interpretierte. Zwar war er in Wahrheit nicht weniger sittsam, als die Bauern, bei denen Selina ihre Kindheit verbracht hatte, doch hätte kein Mann in ihrem Heimatdorf es jemals gewagt, Hand an sie zu legen, da er den Zorn Kathrins fürchten musste. Selinas Mutter war die Gemahlin eines Elfenkriegers und galt als eine Frau, die in einem Schwert durchaus einen Gebrauchsgegenstand sah, den sie geschickt einzusetzen wusste. Hier, in Ametar, gab es niemanden, der die Halbelfe beschützte. Selina fragte sich mit Bangen, wie weit dieser betrunkene Kerl gehen würde. Eine Frage, die ihr schneller beantwortet wurde, als ihr lieb war.
Der Mann packte sie hart an der Taille und zog sie eng an sich heran.
Selina schrie auf. Und bevor sie wusste, was sie tat, hatte sie sich blitzschnell umgedreht und den Krug in ihrer Rechten gegen den Kopf des Grobians geschleudert. Bier spritzte auf. Das Gefäß prallte an der Stirn des Mannes ab, fiel zu Boden und zerbarst.
Der Kerl schüttelte benommen den Kopf und funkelte die Halbelfe grimmig an.
Selina hob den zweiten Krug hoch. Sie zielte genau
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