eine Elfenromanze
Blick zu. Sie war blass und schlotterte am ganzen Körper. „Ihr werdet Euch erst einmal in Ruhe hinsetzen und Euch von dem Schrecken erholen.“
„Aber die Gäste ...“
„... können warten“, erklärte er bestimmt und zog sie sanft mit sich. Selina fühlte sich nicht in der Lage, Widerstand zu leisten und wusste auch nicht, ob sie es wollte.
„Mein Herr wünscht, dass Ihr Euch an unseren Tisch setzt“, erklärte der Mann beiläufig, während er sie durch die Wirtsstube zu einer Nische führte, wo ein einzelner Tisch etwas abseits des allgemeinen Trubels stand.
Selina blickte verwirrt zu ihm auf. Die Erwähnung seines Herrn hatte tief in ihr eine kleine Alarmglocke erschallen lassen. Sie betrachtete das Gesicht des Mannes, das von schwarzem, dichtem Haar umrahmt war. Er war nicht alt aber auch nicht mehr ganz jung. Seine dunklen Augen blickten freundlich zu ihr herab. Seine große, kraftvolle Gestalt war von einem weiten, schwarzen Mantel verhüllt. Und als ihr nun das Langschwert einfiel, mit dem er ihren Angreifer niedergeschlagen hatte, da wusste sie, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte.
Selina blieb abrupt stehen. „Euer Herr?“, rief sie erschrocken auf. Nein, sie wollte nicht zu ihm gebracht werden! Nein, sie würde sich nicht an ihren Tisch setzen! Nicht, da sie nun wusste, wer ihr Retter war! Er war der unheimliche Mann, den sie mit diesem adeligen Elfen zusammen auf der Seidenmeile getroffen hatte. Ria hatte recht gehabt! Sie hatte sich unangemessen verhalten und nun hatten die Männer sie aufgespürt, um sie zur Rede zu stellen. Nein, nie im Leben würde sie sich an ihren Tisch setzen! Selina entzog sich dem Griff des Mannes und wollte in die Küche flüchten.
„Ich grüße Euch!“ Selina erstarrte, als sie die Stimme erkannte. „Welch eine Freude, Euch wieder zu sehen, auch wenn die Umstände weniger angenehm sind. Ich hoffe, Ihr seid nicht verletzt!“ Regungslos stand sie da und starrte den Elfenmann entsetzt an, der sich erhob und zum Gruß vor ihr verneigte.
„Tisch Nummer fünf ...“, keuchte sie. Die edlen Herrschaften, von denen Adorata gesprochen hatte, waren niemand anderer als der sonderbare Elf und sein Krieger!
„Die Gans ... gleich fertig“, stammelte Selina, wollte sich umdrehen und fortlaufen.
„Vergesst die Gans! Bitte! Setzt Euch!“ Der Elf bot ihr mit einer höflichen Geste einen Stuhl an seiner Seite an. Sein offenherziges Lächeln hatte eine entwaffnende Wirkung. Selina fehlte die Kraft, sich gegen seinen Willen aufzulehnen, und sie sank hilflos auf den Sessel. Der Krieger nahm rechts von ihr Platz. Selina fühlte sich zwischen den beiden Männern in die Enge getrieben. Die meerblauen Augen des Elfen schienen sie zu durchbohren und zur Rede zu stellen.
Doch anstatt die erwartete Anklage auszusprechen, sagte der Elfenmann mit freundlicher Stimme: „Mein Name ist Liones Emnesthar und das“, er machte eine flüchtige Handbewegung zu dem Krieger, „ist Harras. Er ist ein treuer Diener meiner Familie und ein guter Freund.“
Selina erwiderte trotzig seinen Blick. „Habt Ihr mich verfolgt?“, fragte sie direkt, doch ihre Stimme klang kraftlos.
Liones Emnesthar legte fragend den Kopf schief, als verstünde er nicht, worauf sie hinauswollte.
„Habt Ihr mir nachspioniert?“, wollte Selina etwas nachdrücklicher wissen.
Der Elf legte beschwichtigend eine Hand auf die ihre, doch sie zog sie hastig vor ihm zurück. „Nein, ich spioniere Frauen niemals nach.“ Er musterte sie einen Augenblick und erklärte dann: „Doch jetzt sehe ich, was mir durch meine Prinzipien beinahe verwehrt geblieben wäre und ich muss dem Schicksal danken, mich heute hier hergeführt zu haben.“
Selina rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.
„Wie ist Euer Name?“, wollte Liones wissen.
„Selina“, antwortete sie zögernd und rieb sich nervös das linke Handgelenk, das vom brutalen Griff des Betrunkenen immer noch schmerzte. Sie war sich nicht sicher, ob sie durch die Rettung dieses Harras lediglich vom Regen in die Traufe gekommen war.
„Ist alles in Ordnung, Selina?“, fragte der Elf. „Seid Ihr verletzt?“ Langsam, um sie nicht erneut zu verstrecken, streckte er die Hand nach ihr aus und forderte sie mit einer Geste auf, ihm das verletzte Gelenk begutachten zu lassen. Doch Selina vergrub hastig die Hände in ihrem Schoß. Liones nickte ergeben.
Es kostete Selina einiges an Kraft, doch endlich hatte sie soweit die Kontrolle über sich zurückerlangt, um
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