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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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die gewalttätigste oder geschickteste Selbstsucht den Sieg. Das Beispiel wird beneidet: es findet Nachahmung.
    Als Raoul wegen seiner Feindschaft gegen die neue Dynastie Aufnahme im Salon der Frau von Montcornet fand, blühte sein scheinbares Glück. Er fand Zutritt als der politische Kritiker der de Marsay, Rastignac, La Roche-Hugon, die zur Macht gelangt waren. Der Mann, der ihn eingeführt hatte, Emil Blondet, ein Opfer seines verhängnisvollen Zauderns, seiner Abneigung gegen eine persönliche Leistung, spielte seine Rolle als Spottvogel weiter, nahm für niemand Partei und hielt es mit jedermann. Er war der Freund Raouls, der Freund Rastignacs, der Freund Montcornets.
    »Du bist ein politisches Dreieck,« sagte de Marsay lachend zu ihm, wenn er ihn in der Oper traf. »Dies geometrische Gebilde steht nur Gott zu, der nichts zu tun hat. Die Ehrgeizigen aber müssen krumme Bahnen gehen; das ist in der Politik die kürzeste Linie.«
    In gewissem Abstand erschien Raoul Nathan als sehr schöner Meteor. Die Mode rechtfertigte seine Manieren und seine ganze Haltung. Sein erborgtes Republikanertum gab ihm augenblicklich jene jansenistische Strenge, die die Verteidiger der Sache des Volkes annehmen, obwohl er sich innerlich über sie lustig machte. Aber diese Strenge ist nicht ohne Reiz für die Frauen. Sie tun ja gern Wunder, sprengen Felsen und schmelzen Charaktere, die von Erz zu sein scheinen. Der innerliche Anzug stand bei Raoul damals also in Übereinstimmung mit seiner Kleidung. Für die Eva, die ihres Paradieses in der Rue du Rocher überdrüssig war, mußte er die schillernde, bunte, wortgewandte Schlange mit den magnetischen Augen und den harmonischen Bewegungen sein, die die erste Frau verdarb. Und er war es.
    Sobald die Gräfin Marie Raoul erblickte, empfand sie jene innere Wallung, deren Heftigkeit eine Art Schrecken hervorruft. Der angebliche große Mann übte durch seinen Blick einen körperlichen Einfluß auf sie aus, der bis in ihr Herz strahlte und es verwirrte. Diese Verwirrung machte ihr Freude. Der Purpurmantel der Berühmtheit, der Nathans Schultern im Augenblick umkleidete, blendete die harmlose Frau. Zur Teestunde verließ Marie den Kreis plaudernder Damen, in dem sie stumm gesessen hatte, als sie dies außerordentliche Wesen erblickte. Ihr Schweigen war ihren falschen Freundinnen aufgefallen.
    Die Gräfin näherte sich dem viereckigen Diwan in der Mitte des Salons, wo Raoul hochtrabend redete. Sie trat vor ihn hin und legte ihren Arm in den der Frau Octave de Camps, einer trefflichen Frau, die das ungewollte Zittern, das Maries heftige Gemütsbewegung verriet, als Geheimnis bewahrte. Obwohl der Blick einer verliebten oder überraschten Frau unendliche Sanftheit verrät, brannte Raoul in diesem Moment ein wahres Feuerwerk ab. Er war zu vertieft in seine Satiren, die wie Raketen aufsprühten, in seine Anklagen, die wie Feuerwerksräder abrollten, in seine Flammenporträts, die er mit Feuerstrichen zeichnete, um die naive Bewunderung einer armen kleinen Eva zu bemerken, die in der Gruppe der Damen um ihn her verschwand. Diese Neugier, die die Pariser nach dem Zoologischen Garten locken würde, um dort ein Einhorn zu sehen, wenn man eins dieser Tiere in den berühmten Mondgebirgen auftriebe, die noch kein Europäer betreten hat, berauscht die Geister zweiten Ranges ebensosehr, wie sie die wirklich hohen Seelen betrübt. Aber sie entzückte Raoul: er gehörte also zu sehr allen Frauen, um einer einzigen zu gehören.
    »Vorsicht, meine Liebe,« sagte Maries anmutige und reizende Gefährtin ihr ins Ohr, »gehen Sie fort!«
    Die Gräfin blickte ihren Gatten an, damit er ihr den Arm reichte. Die Ehemänner verstehen solche Blicke nicht immer: Felix führte sie fort. »Mein Lieber,« sagte Frau von Espard Raoul ins Ohr, »Sie sind ein glücklicher Schelm. Sie haben heute abend mehr als eine Eroberung gemacht, unter anderm die der reizenden Frau, die uns so plötzlich verlassen hat.«
    »Weißt du, was die Marquise von Espard mir sagen wollte?« fragte Raoul seinen Freund Blondet, als sie zwischen ein und zwei Uhr morgens fast allein waren. Und er wiederholte ihm, was die vornehme Dame zu ihm gesagt hatte.
    »Nun, ich höre, die Gräfin von Vandenesse hat sich toll in dich verliebt. Du bist nicht zu beklagen.«
    »Ich habe sie gar nicht gesehen,« sagte Raoul.
    »Oh! Du wirst sie schon sehen, Halunke,« entgegnete Blondet herausplatzend. »Lady Dudley lädt dich zu ihrem großen Ball ein und zwar eigens,

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