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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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verknüpft war.
    »Hat dieser Mann Genie,« schloß er, »so hat er doch weder die Beständigkeit noch die Geduld, durch die es heilig und göttlich wird. Er will der Welt imponieren, indem er sich einen Rang anmaßt, den er nicht behaupten kann. Die wahren Talente, die emsigen, ehrbaren Leute verfahren nicht so: sie gehen tapfer ihren Weg, nehmen ihr Elend auf sich und behängen sich nicht mit Flittern.«
    Das Denken einer Frau ist von unglaublicher Biegsamkeit. Erhält es einen Keulenschlag, so knickt es zusammen, scheint vernichtet und richtet sich nach einer gewissen Zeit wieder auf.
    »Felix hat zweifellos recht,« sagte sich die Gräfin anfangs.
    Aber nach drei Tagen dachte sie wieder an die Schlange, dank dem holden und zugleich schrecklichen Eindruck, den Raoul ihr gemacht und den Vandenesse ihr leider nicht erklärt hatte. Das gräfliche Paar ging zu dem großen Ball der Lady Dudley, auf dem de Marsay zum letztenmal in Gesellschaft erschien, denn er starb zwei Monate später und hinterließ den Ruf eines großen Staatsmannes, dessen Bedeutung nach Blondets Wort unbegreiflich war. Vandenesse und seine Gattin trafen Raoul Nathan in dieser Gesellschaft wieder, die ihr Gepräge durch die Begegnung mehrerer Mitspieler des politischen Dramas erhielt, die ob dieses Zusammentreffens sehr erstaunt waren.
    Es war eine der ersten Festlichkeiten der großen Welt. Die Salons boten dem Auge ein magisches, Bild dar: Blumen, Diamanten, glänzende Frisuren. Alle Schmuckkästen waren geleert, alle Kunstmittel der Toilette ins Werk gesetzt. Der Salon glich einem jener koketten Treibhäuser, in dem die reichen Gartenliebhaber die prächtigsten Seltenheiten vereinigen. Der gleiche Glanz, die gleiche Feinheit in den Stoffen. Der menschliche Gewerbfleiß schien mit den lebenden Geschöpfen um den Vorrang zu streiten. Überall weiße oder bunte Gaze in den Farben der schönsten Libellenflügel, Krepp, Spitzen, Blonden und Tüll in der launischen Mannigfaltigkeit der Insektenwelt, durchbrochen, gewellt oder gezahnt, goldne und silberne Spinneweben, Nebelwolken von Seide, Blumen, die von Feenhand gestickt oder von verzauberten Geistern gewirkt schienen, Federn, von der Glut der Tropensonne gefärbt und gleich Trauerweiden auf stolze Köpfe herabwallend, gewundene Perlenschnüre, glatte, gerippte, durchbrochene Stoffe, als hätte der Geist der Arabesken den französischen Gewerbfleiß beraten.
    Dieser Luxus stand im Einklang mit den dort versammelten Schönheiten, als sollte ein Album der Schönheit zusammengestellt werden. Der Blick schweifte über die weißesten Schultern, teils von bernsteinfarbenem Schimmer, teils von atlasartigem Glanze, teils seidig, teils matt und fleischig, als hätte Rubens den Teig geknetet, kurz alle Spielarten, die der Mensch im Weiß erblickt. Da waren Augen, die wie Onyx oder Türkis strahlten, mit schwarzem Samt oder blonden Fransen umsäumt; Gesichter von verschiedenstem Schnitt, die an die anmutigsten Typen aller Länder gemahnten; erhabene und majestätische Stirnen, wie von der Fülle der Gedanken sanft gewölbt oder flach, wie von unbezähmtem Widerstand, und schließlich das, was diesen Schaustellungen so hohen Reiz verleiht, Busenhügel, die sich zusammendrängten, wie Georg IV. es liebte, oder getrennt waren, wie die Mode des 18. Jahrhunderts es wollte, oder sich einander näherten, wie es Ludwig XV. liebte, aber immer sichtbar, in kecker Hüllenlosigkeit oder unter den hübschen gefältelten Busenlätzen von Raffaels Bildern, dem Triumph seiner geduldigen Schüler. Reizende Füße, die sich im Tanzschritt spannten, Taillen, die sich im Schwünge des Walzers bogen, riefen auch die Aufmerksamkeit der Gleichgültigsten wach. Das Murmeln der sanftesten Stimmen, das Rauschen der Kleider, das Gleiten des Tanzes, die heftigen Bewegungen des Walzers bildeten eine phantastische Begleitung der Musik. Es war, als hätte eine Fee mit ihrem Zauberstabe diese betäubende Magie, diese Melodie von Düften, diese schillernden Lichter in den Kristallkronen, in denen die Kerzen flackerten, diese von den Spiegeln vervielfältigten Bilder dirigiert.
    Dieser Kranz der reizendsten Frauen in den schönsten Toiletten hob sich wirkungsvoll ab von der dunklen Masse der Männer, unter denen die eleganten, feinen, korrekten Profile der Edelleute, die hellblonden Schnurrbärte und ernsten Gesichter der Engländer sich mit den anmutigen Gesichtern der französischen Aristokratie mischten. Alle Orden Europas blinkten auf

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