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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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mehr für ihre Liebe. Je weniger Achtung Raoul verdient hätte, um so größer wäre sie gewesen. Die feurigen Worte des Dichters fanden mehr Widerhall in ihrem Busen als in ihrem Herzen. Beim Rufe der Leidenschaft war das Mitleid in ihr erwacht. Diese Königin der Tugenden heiligte in den Augen der Gräfin ihre Herzenswallungen, ihre Wonnen und die Heftigkeit ihrer Liebe beinahe. Sie fand es schön, eine irdische Vorsehung für Raoul zu sein. Welch schöner Gedanke, mit ihrer weißen, schwachen Hand diesen Koloß zu stützen, dessen tönerne Füße sie nicht sehen wollte, da Leben zu spenden, wo es fehlte, insgeheim die Urheberin einer großen Laufbahn zu sein, einem genialen Menschen im Kampf mit dem Schicksal beizustehen und ihm zum Siege zu verhelfen, ihm seine Schärpe für das Turnier zu sticken, ihm Waffen zu widmen, ihm den Talisman gegen Zauber und den Balsam gegen Wunden zu geben! Bei einer Frau mit Maries Erziehung, fromm und edel wie sie, mußte die Liebe zum wonnigen Mitleid werden. Daher ihre Unbedenklichkeit. Reine Gefühle stellen sich mit einer stolzen Verachtung bloß, die der Schamlosigkeit der Kurtisanen ähnelt. Sobald sie durch eine spitzfindige Auslegung sicher war, die eheliche Treue nicht zu verletzen, gab sich die Gräfin der Freuden ihrer Liebe zu Raoul mit vollem Herzen hin. Die nichtigsten Dinge des Lebens dünkten ihr jetzt reizvoll. Ihr Boudoir, in dem sie an ihn dachte, wurde ihr zum Heiligtum. Selbst ihr hübscher Schreibtisch erweckte in ihrer Seele die tausend Freuden des Briefwechsels. Sie hatte Briefe zu lesen, zu verstecken, zu beantworten. Die Toilette, diese herrliche Dichtung des Frauenlebens, die von ihr erschöpft oder nicht gewürdigt worden war, schien ihr jetzt mit einer bisher unbemerkten Zauberkraft begabt. Die Toilette wurde für sie plötzlich zu dem, was sie für alle Frauen ist, ein beständiger Ausdruck des innersten Denkens, eine Sprache, ein Symbol. Wieviel Genuß lag in einem Putz, den sie anlegte, um ihm zu gefallen, um ihm Ehre zu machen! Höchst naiv überließ sie sich der reizenden Putzsucht, die das Leben der Pariserinnen ausfüllt und die allem, was man an ihnen, in ihnen, bei ihnen sieht, so große Bedeutung verleiht! Es gibt sehr wenig Frauen, die nur um ihrer selbst willen in ein Seidengeschäft, zum Modeladen, zu guten Schneidern gehen. Sind sie alt, so denken sie nicht mehr daran, sich zu schmücken. Sieht man im Vorbeigehen ein Gesicht einen Augenblick vor einem Ladenfenster halt machen, so prüfe man es genau. Die Frage: »Fände er mich wohl schöner damit?« steht auf den hellen Stirnen, in den hoffnungsstrahlenden Augen, in dem auf den Lippen spielenden Lächeln geschrieben.
    Der Ball bei Lady Dudley war an einem Sonnabend gewesen. Am Montag fuhr die Gräfin in die Oper, von der Gewißheit getrieben, Raoul dort zu sehen. Er hatte sich in der Tat auf einer der Treppen postiert, die zu den Proszeniumslogen herabführen. Mit welcher Wonne bemerkte sie die neue Sorgfalt, die ihr Geliebter auf seinen Anzug verwandt hatte! Dieser Verächter der Gesetze der Eleganz hatte eine wohlgepflegte Frisur, in deren tausend Lockenringen Parfüms glänzten. Seine Weste folgte der Mode, sein Kragen war gut gebunden, sein Hemd zeigte tadellose Falten. Unter dem gelben Handschuh, dem Gebot der Stunde, schienen seine Hände schneeweiß. Raoul hielt die Arme über der Brust verschränkt, als stände er für eine Porträtaufnahme. Er war voll großartiger Gleichgültigkeit gegen das ganze Theater, voll kaum bezähmter Ungeduld. Seine Augen, wiewohl niedergeschlagen, schienen die rote Samtbrüstung zu suchen, auf die Marie ihren Arm gelegt hatte. Felix saß in der andern Ecke der Loge und wandte Raoul den Rücken. Die kluge Gräfin hatte sich so gesetzt, daß sie auf die Säule herabblickte, an die Raoul sich lehnte. Marie hatte diesen geistreichen Menschen also im Handumdrehen dahin gebracht, seinen Zynismus in Dingen der Kleidung abzuschwören. Die gewöhnlichste und die vornehmste Frau ist gleich berauscht, wenn sie den ersten Ausdruck ihrer Macht in einer solchen Metamorphose erblickt. Jede Wandlung ist ein Geständnis der Hörigkeit.
    »Sie hatten recht,« sagte sie im Gedanken an ihre abscheulichen Ratgeberinnen. »Verstanden zu worden, bringt Glück.«
    Als die beiden Liebenden den Theaterraum mit jenem raschen Blick überflogen hatten, der alles sieht, wechselten sie einen Blick des Einverständnisses. Beiden war dabei zumute, als hätte ein himmlischer Tau ihre

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