Eine Evatochter (German Edition)
Mein Lieber, vergessen Sie Vandenesse nicht dabei; tun Sie's mir zu Liebe. Wahrhaftig, er ist zu selbstgewiß. Diese strahlende Miene verziehe ich selbst dem olympischen Zeus nicht, dem einzigen mythologischen Gotte, der kein Pech gehabt haben soll.«
»Meine Gnädigste,« rief Raoul aus, »Sie schreiben mir eine recht niedrige Seele zu, wenn Sie mich für fähig halten, mit meinen Gefühlen, meiner Liebe Schacher zu treiben. Lieber als diese literarische Feigheit wäre mir noch der türkische Brauch, einer Frau einen Strick um den Hals zu werfen und sie zum Markte zu führen.«
»Aber ich kenne Marie doch, sie wird Sie selbst darum bitten.«
»Dazu ist sie unfähig,« sagte Raoul leidenschaftlich.
»Sie kennen sie also gut?«
Nathan mußte über sich selbst lachen, über sich, den Komödienspieler, der selbst einer Komödie zum Opfer gefallen war.
»Die Komödie wird nicht mehr dort gespielt,« sagte er, auf die Bühne deutend, »sondern bei Ihnen.«
Er nahm sein Opernglas und begann im Theater umherzublicken, um sich eine Haltung zu geben. »Sind Sie mir böse?« fragte die Marquise, ihn von der Seite anblickend. »Hätte ich nicht stets Ihr Geheimnis erfahren? Wir werden uns leicht vertragen. Kommen Sie zu mir; ich habe jeden Mittwoch Empfang. Die teure Gräfin wird nicht einen Tag fehlen, wenn sie Sie dort trifft. Ich gewinne dabei. Bisweilen sehe ich sie zwischen 4 und 5 Uhr. Ich werde nett sein und Sie zu der kleinen Zahl von Bevorzugten zählen, die ich um diese Zeit empfange.«
»Nun ja,« sagte Raoul. »So ist die Welt! Man nennt Sie boshaft!«
»Mich?« sagte sie. »Ich bin es nur bei Gelegenheit. Muß man sich nicht seiner Haut wehren? Aber Ihre Gräfin bete ich an. Sie werden zufrieden mit ihr sein, sie ist reizend. Sie werden der erste sein, dessen Name in ihr Herz geschrieben ist, mit jener kindlichen Freude, mit der alle Verliebten, selbst die Unteroffiziere, ihren Namenszug in die Rinde der Bäume eingraben. Die erste Liebe einer Frau ist eine köstliche Blüte. Sehen Sie, später ist unsre Zärtlichkeit, unsre Fürsorge zu bewußt. Eine alte Frau wie ich kann alles sagen, sie fürchtet nichts mehr, selbst einen Journalisten nicht. Nun also, im Herbst des Lebens können wir Sie glücklich machen, aber wenn wir das erstemal lieben, sind wir glücklich und bereiten Ihnen damit tausend Freuden des Stolzes. Bei uns ist dann alles von reizender Unverhofftheit, das Herz voller Unbefangenheit. Sie sind zu sehr Dichter, um die Blüte der Frucht nicht vorzuziehen. Wir sprechen uns wieder in einem halben Jahre.«
Wie alle Verbrecher legte sich Raoul aufs Leugnen, aber damit lieferte er dieser zähen Kämpferin nur neue Waffen. Er war bald in die fließenden Knoten der gefährlichsten und geistreichsten Unterhaltung verstrickt, in der die Pariserinnen Meisterinnen sind, und er fürchtete, sich Geständnisse ablocken zu lassen, die die Marquise in ihren Spöttereien gleich ausgenutzt hätte. Er zog sich also weislich zurück, als er Lady Dudley eintreten sah.
»Nun?« fragte die Engländerin, »wie weit sind sie?«
»Sie lieben sich bis zum Wahnsinn. Nathan hat es mir eben gesagt.« »Schade, daß er nicht häßlicher ist,« sagte Lady Dudley und warf dem Grafen Felix einen Vipernblick zu. »Übrigens ist er das, was ich wollte, der Sohn eines Trödeljuden, der in den ersten Jahren seiner Ehe bankrott wurde und starb. Aber seine Mutter war katholisch; sie hat ihn leider zum Christen gemacht.«
Diese Herkunft, die Nathan so sorgfältig verbarg, hatte Lady Dudley soeben erfahren. Sie schwelgte im voraus in der Wonne, ein paar schreckliche Epigramme auf Vandenesse daraus zu machen.
»Und ich habe ihn eben eingeladen, zu mir zu kommen!« versetzte die Marquise.
»Habe ich ihn nicht gestern empfangen?« entgegnete Lady Dudley. »Es gibt Freuden, mein Engel, die uns teuer zu stehen kommen.«
Die Kunde von der gegenseitigen Leidenschaft Raouls und der Gräfin von Vandenesse machte während der Vorstellung die Runde in der Gesellschaft, nicht ohne auf Proteste und Unglauben zu stoßen. Aber die Gräfin wurde von ihren Freundinnen, Lady Dudley, Frau von Espard und Frau von Manerville, mit einer ungeschickten Heftigkeit verteidigt, die dem Gerücht vorteilhaft war.
Durch den Zwang besiegt, ging Raoul am Mittwoch abend zur Marquise von Espard und traf dort die gute Gesellschaft, die im Hause verkehrte. Da Felix seine Gattin nicht begleitete, konnte Raoul mit Marie einige Worte wechseln, die mehr durch ihren
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