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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Tonfall als durch ihre Gedanken bedeutungsvoll waren. Durch Frau Octave de Camps vor Klatsch gewarnt, hatte die Gräfin die Bedeutung ihrer Lage gegenüber der Gesellschaft erkannt und wies auch Raoul darauf hin.
    Im Kreise dieser schönen Gesellschaft hatten also beide kein andres Vergnügen als die so tief genossenen Eindrücke, die die Gedanken, die Stimme, die Gebärden, das Benehmen eines geliebten Wesens erwecken. Die Seele klammert sich heftig an Nichtigkeiten. Bisweilen richten sich die Blicke beider Liebender auf den gleichen Gegenstand und verbergen darin gleichsam einen Gedanken, den sie gefaßt, erwidert und ausgetauscht haben. Bei einer Unterhaltung bewundert man den leicht vorgestellten Fuß, die zitternde Hand, die Finger, die nach irgendeinem Schmuckstück greifen, es wieder loslassen oder es in bedeutsamer Weise hin und her drehen. Nicht die Gedanken, noch die Sprache, sondern die Dinge selbst sprechen; sie sprechen so viel, daß ein Verliebter es oft anderen überläßt, eine Tasse Tee, die Zuckerdose, ich weiß nicht welchen Gegenstand herbeizubringen, den die geliebte Frau verlangt, alles aus Angst, seine Verwirrung vor Blicken zu verraten, die nichts zu sehen scheinen und doch alles sehen. Zahllose Sehnsüchte, sinnlose Wünsche, heftige Gedanken, die unterdrückt werden, entladen sich nur im Blick. Hier sind die Händedrücke, die vor tausend Argusaugen verborgen werden, so beredt wie ein langer Brief und wonnevoll wie ein Kuß. Die Liebe nährt sich von allem, was ihr versagt wird, stützt sich auf alle Hindernisse, um größer zu werden. Schließlich werden diese öfter verfluchten als überschrittenen Schranken zerbrochen und ins Feuer geworfen, um die Glut zu nähren. Hier können die Frauen den Umfang ihrer Macht an der Beschränkung messen, zu der eine unendliche, aber zurückgedrängte Liebe gelangt, die sich in einem erregten Blick, einem nervösen Zucken hinter einer banalen Höflichkeitsformel verbirgt. Wie oft wird auf der letzten Stufe einer Treppe die unbekannte Qual und das nichtssagende Gerede eines ganzen Abends mit einem einzigen Worte belohnt! Raoul, der wenig nach der Gesellschaft fragte, entlud seinen Zorn in Worten und war blendend. Jedermann hörte das Murren gegen den Zwang, den die Künstler so schwer zu ertragen vermögen. Dieser Grimm im Stil von Roland, dieser Geist, der alles zerbrach und zerschlug, der das Epigramm wie eine Keule schwang, berauschte Marie und unterhielt den ganzen Kreis, wie der Anblick eines mit Bändern geschmückten Stiers, der in einer spanischen Arena einhertobt.
    »Und wenn du alles entzweischlägst,« sagte Blondet zu ihm, »du schaffst dir doch keine Einsamkeit um dich her.«
    Dies Wort gab Raoul seine Besinnung wieder. Er hörte auf, seine Gereiztheit zur Schau zu tragen. Die Marquise brachte ihm eine Tasse Tee und sagte so laut, daß Frau von Vandenesse es hören konnte: »Sie sind wirklich sehr amüsant. Kommen Sie doch bisweilen um vier Uhr her.«
    Raoul nahm an dem Wort amüsant Anstoß, obwohl es als Vorwand für die Einladung gemeint war. Er begann zuzuhören, wie ein Schauspieler, der in den Zuschauerraum blickt, anstatt auf der Bühne zu sein. Blondet hatte Mitleid mit ihm.
    »Mein Lieber,« sagte er, ihn in eine Ecke ziehend, »du benimmst dich in Gesellschaft, als ob du bei Florine wärest. Hier läßt man sich nie gehen. Man läßt keine langen Artikel los, sondern sagt von Zeit zu Zeit etwas Geistreiches. Man nimmt eine ruhige Miene an, wenn man das lebhafte Bedürfnis verspürt, die Leute zum Fenster hinauszuwerfen. Man spottet sanft, man tut, als sagte man der angebeteten Frau Artigkeiten, und man wälzt sich nicht wie ein Esel mitten auf der Straße. Hier, Verehrtester, liebt man, wie es sich gehört. Entweder entführe Frau von Vandenesse oder zeige dich als Gentleman. Du bist zu sehr der Liebhaber aus einem deiner Bücher.«
    Nathan hörte ihm gesenkten Hauptes zu. Er war wie ein Löwe, der sich in ein Garn verstrickt hat.
    »Ich setze keinen Fuß mehr in das Haus,« sagte er. »Diese Marquise aus Pappe verkauft mir ihren Tee zu teuer. Sie findet mich amüsant! Ich verstehe nun, warum Saint-Just diese ganze Gesellschaft guillotinierte.«
    »Du kommst ja morgen doch wieder.«
    Blondet sprach wahr. Die Leidenschaften sind ebenso feig wie grausam. Am nächsten Tage nach langem Schwanken zwischen »ich gehe« und »ich gehe nicht,« verließ Raoul seine Teilhaber inmitten einer wichtigen Konferenz und fuhr nach dem Faubourg St.

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