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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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»Da wird irgendeine Intrige gesponnen. Es scheint, daß die Gräfin für dich schwärmt; sie grüßt dich durchs ganze Theater.«
    »Schau,« sagte Frau du Tillet zu ihrer Schwester. »Uns nennt man falsch. Mein Gatte tut schön mit Nathan und will ihn doch ins Gefängnis bringen!«
    »Und da klagen die Männer uns an!« rief die. Gräfin. »Ich will ihm ein Licht aufstecken.«
    Sie stand auf, nahm den Arm ihres Gatten, der sie auf dem Gange erwartete, und kehrte strahlend in ihre Loge zurück. Dann verließ sie die Oper, bestellte ihren Wagen für den nächsten Morgen vor 8 Uhr und war um ½ 9 Uhr am Quai Conti, nachdem sie in der Rue du Mail vorgesprochen hatte.
    Die kleine Rue de Nevers war so schmal, daß der Wagen nicht hineinkonnte. Aber Schmuke wohnte in einem Eckhaus des Quais, und so brauchte die Gräfin nicht durch den Straßenschmutz zu gehen. Sie gelangte vom Trittbrett ihres Wagens fast unmittelbar in den schmutzigen, baufälligen Eingang des alten geschwärzten Hauses, das durch Eisenklammern zusammengehalten war, wie das Steingutgeschirr eines Portiers, und derart überhing, daß es die Passanten bedrohte. Der alte Kapellmeister wohnte im vierten Stock und hatte einen schönen Ausblick auf die Seine, vom Pont Neuf bis zu der Anhöhe von Chaillot. Der gute Mensch war so überrascht, als der Lakai ihm den Besuch seiner alten Schülerin meldete, daß er sie in seiner Bestürzung hereinkommen ließ. Nie hätte die Gräfin dies Dasein geahnt, das sich ihren Blicken darbot, oder es sich auch nur vorgestellt, obwohl sie seit lange Schmukes tiefe Verachtung für die Kleidung und seine geringe Anteilnahme an den Dingen der Welt kannte. Wer hätte dies In-den-Tag-hineinleben, diese völlige Sorglosigkeit für möglich gehalten? Schmuke war ein Diogenes der Musik, er schämte sich seiner Unordnung nicht. Er hätte sie sogar geleugnet, so sehr war er daran gewöhnt. Durch das fortwährende Rauchen aus einer mächtigen deutschen Pfeife hatten die Zimmerdecke und die elenden Tapeten, die an tausend Stellen von einer Katze zerschrammt waren, eine gelbliche Färbung erhalten, die allen Gegenständen das Aussehen reifender Kornfelder gab. Die Katze in ihrem prächtigen Seidenpelz, der den Neid einer Portierfrau erregt hätte, vertrat die Stelle der Hausfrau. Bärtig und ernst saß sie unbesorgt da und thronte meisterlich auf dem guten Wiener Klavier. Sie warf der Gräfin beim Eintreten jenen honigsüßen kalten Blick zu, mit dem jede, über ihre Schönheit erstaunte Frau sie begrüßt hätte. Sie rührte sich nicht, bewegte nur die Silberfäden ihres abstehenden Bartes und blickte dann Schmuke mit ihren Goldaugen an. Das Klavier war von gutem, schwarz und golden bemalten Holze, aber altersschwach und schmutzig. Die Farbe war verblichen und abgeplatzt, die Tasten abgenutzt wie alte Roßzähne und durch die Rußwolken der Pfeife vergilbt. Kleine Aschenhaufen auf dem Deckel verrieten, daß Schmuke Tags zuvor auf dem alten Instrument zu irgendeinem musikalischen Hexensabbat geritten war. Der Fußboden war bedeckt mit trocknem Schmutz, Papierfetzen, Pfeifenasche, undefinierbaren Überresten, wie der Fußboden eines Pensionats, wenn acht Tage nicht ausgekehrt ist, und die Dienste boten einen Haufen von Dingen zusammenfegen, die zwischen Müllhaufen und Lumpen schwanken. Ein geübteres Auge als das der Gräfin hätte darin Spuren von Schmukes Leben entdeckt: Kastanien und Kartoffelschalen, Eierschalen in Scherben von Tellern, die aus Unachtsamkeit zerbrochen und mit Sauerkraut beschmutzt waren. Dieser deutsche Müll bildete einen Teppich staubiger Abfälle, die unter den Schritten knirschten, und vermischte sich mit einem Aschenhaufen, der majestätisch aus einem bemalten Steinkamin herabfiel. In diesem thronte ein großes Stück Kohle, vor dem zwei Holzscheite zu schwelen schienen. Über dem Kamin befand sich ein Wandspiegel, in dem die Gestalten eine Sarabande tanzten; links hing die berühmte Pfeife, rechts ein chinesischer Topf, in dem der Professor seinen Tabak aufhob. Zwei Lehnstühle, die er irgendwo aufgekauft hatte, ebenso eine schmale flache Bettstelle, eine wurmstichige Kommode ohne Marmorplatte und ein lahmer Tisch, auf dem die Überreste eines frugalen Frühstücks standen, vervollständigten diese Einrichtung, die so einfach war wie die eines Wigwams der Mohikaner. Ein Rasierspiegel hing am Drehriegel des gardinenlosen Fensters und darüber ein durch das Reinigen des Rasiermessers streifiger Lappen – die

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