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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gegossen hatte, kehrte sie nach Hause zurück. Nun fiel sie all den Qualen, all den Gedanken zum Opfer, die tags zuvor Nathans Stirn verdüstert hatten.
    »Ich bringe alles in Ordnung,« hatte sie zu ihm gesagt, um ihn ins Leben zurückzurufen.
    »Nun, was ist denn mit deiner Schwester?« fragte Felix seine Frau, als er sie zurückkehren sah. »Ich finde dich sehr verändert.«
    »Es ist eine furchtbare Geschichte, über die ich das tiefste Schweigen bewahren muß,« antwortete sie, ihre Kraft wiederfindend, um Ruhe zu heucheln.
    Um allein zu sein und ihren Gedanken freien Lauf zu lassen, war sie am Abend ins italienische Theater gegangen; dann fuhr sie zu ihrer Schwester und schüttete ihr das Herz aus. Sie erzählte ihr die furchtbare Szene am Morgen, ging sie um Rat und Hilfe an. Weder sie noch ihre Schwester konnten damals wissen, daß es du Tillet gewesen war, der die gemeine Kohlenpfanne angezündet hatte, deren Anblick die Gräfin von Vandenesse entsetzt hatte.
    »Er hat nur mich auf der Welt,« sagte Marie zu ihrer Schwester, »und ich werde ihn nicht im Stiche lassen.«
    Dies Wort birgt das Rätsel aller Frauen. Sie sind Heldinnen, sobald sie gewiß sind, daß sie für einen großen Mann ohne Makel alles sind.
    Du Tillet hatte von der mehr oder minder wahrscheinlichen Neigung seiner Schwägerin zu Nathan gehört, war aber einer von denen, die sie abstritten oder sie mit Raouls Verhältnis zu Florine für unvereinbar hielten. Die Schauspielerin mußte die Gräfin verdrängen und umgekehrt. Als er jedoch an diesem Abend heimkehrte und seine Schwägerin erblickte, die schon im Theater sehr verstört ausgesehen hatte, erriet er, daß Raoul der Gräfin seine Verlegenheit gebeichtet hatte. Sie liebte ihn also, sie war also zu Marie Eugenie gekommen, um sie um das Geld zu bitten, das der alte Gigonnet verlangte. Frau du Tillet, der die Geheimnisse dieses schier übernatürlichen Scharfblickes verborgen blieben, hatte sich so bestürzt gezeigt, daß der Argwohn ihres Gatten zur Gewißheit wurde. Der Bankier glaubte den Faden von Nathans Ränken in Händen zu haben.
    Niemand wußte, daß der Unglückliche in einem Hotel garni in der Rue du Mail zu Bette lag, und zwar unter dem Namen des Bureaudieners, dem die Gräfin 500 Franken versprochen hatte, wenn er über die Ereignisse der Nacht und des Morgens den Mund hielt. Daher war François Quillet so klug gewesen, der Portierfrau zu sagen, Nathan sei infolge von Überarbeitung unwohl. Du Tillet wunderte sich nicht, Nathan nicht zu sehen. Es war nur natürlich, daß der Journalist sich vor den Leuten verbarg, die ihn verhaften wollten. Als die Spione sich erkundigten, erfuhren sie, daß am Morgen eine Dame den Chefredakteur abgeholt hatte. Zwei Tage vergingen, bis sie die Nummer der Droschke heraushatten, den Kutscher ausfragten, das Hotel erfuhren, in dem der Schuldner zum Leben zurückkehrte, und dort Nachforschungen anstellten. So hatten Maries kluge Maßregeln Nathan einen Aufschub von drei Tagen verschafft.
    Beide Schwestern verbrachten also eine furchtbare Nacht. Eine derartige Katastrophe wirft ihre Glut auf das ganze Leben und beleuchtet die Klippen und Hintergründe mehr als die Gipfel, die bis dahin den Blick auf sich lenkten. Erschüttert von dem furchtbaren Schauspiel eines noch jungen Mannes, der in seinem Lehnstuhl vor seiner Zeitung stirbt und wie ein Römer seine letzten Gedanken aufzeichnet, hatte die arme Frau du Tillet keinen anderen Gedanken, als ihm Hilfe zu bringen und die Seele zu retten, durch die ihre Schwester lebte. Es liegt in unserer Geistesart, daß wir die Wirkungen betrachten, bevor wir die Ursachen ergründen. Eugenie kam wieder auf ihr Vorhaben zurück, sich an die Baronin Delphine von Nucingen zu wenden, bei der sie speiste. Der Erfolg erschien ihr außer Zweifel. Hochherzig wie alle, die nicht von den glatten Stahlrädern der modernen Gesellschaft erfaßt worden sind, beschloß Frau du Tillet, alles auf sich zu nehmen.
    Die Gräfin war ihrerseits schon glücklich, Nathans Leben gerettet zu haben. Sie grübelte die Nacht durch über Kriegslisten nach, wie sie sich 40 000 Franken verschaffen könnte. In solchen Krisen sind die Frauen erhaben. Indem sie sich durch ihr Gefühl leiten lassen, gelangen sie zu Kombinationen, die die Diebe, die Geschäftsleute und die Wucherer verblüffen würden, ließen sich diese drei Arten von mehr oder minder anerkannten Geschäftsleuten durch irgend etwas verblüffen. Die Gräfin wollte ihre Diamanten

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