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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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verkaufen und dafür falsche tragen. Sie wollte ihren Mann bitten, ihr die Summe für ihre Schwester zu leihen, die sie ja schon in die Sache hineingezogen hatte, aber sie war zu vornehm, um zu solchen entehrenden Mitteln zu greifen. Sie faßte den Gedanken und gab ihn wieder auf. Das Geld ihres Gatten für Nathan! Sie fuhr in ihrem Bette hoch, über ihre verbrecherische Absicht entsetzt. Falsche Diamanten einsetzen – das würde ihr Mann schließlich merken. Sie wollte die Rothschilds um die Summe bitten, sie schwammen ja in Gold, oder den Erzbischof von Paris, der den Armen helfen mußte. Derart ging sie von einer Religion zur andern über und flehte überall um Hilfe. Sie bedauerte, daß sie nicht mehr zur Regierung gehörte. Früher hätte sie in der Umgebung des Thrones Geld gefunden. Sie verfiel auf ihren Vater. Aber der alte Jurist hatte einen Abscheu vor allem Ungesetzlichen; seine Kinder halten schließlich erfahren, wie wenig er für unglückliche Liebschaften übrig hatte. Er wollte gar nichts davon hören, war ein Menschenfeind geworden und hatte einen Abscheu vor jeder Liebelei. Die Gräfin Granville schließlich lebte zurückgezogen in der Normandie auf einem ihrer Güter, sparte und betete und beschloß ihre Tage zwischen Priestern und Geldsäcken, kalt bis zum letzten Augenblick. Hätte Marie auch Zeit gehabt, nach Bayeux zu reisen, hätte ihre Mutter ihr doch schwerlich soviel Geld gegeben, wenn sie nicht wußte, wofür? Schulden vorschützen? Ja, vielleicht ließ sie sich von ihrer Lieblingstochter rühren. Also im Fall des Mißerfolges wollte die Gräfin nach der Normandie reisen. Graf Granville würde sich nicht weigern, ihr einen Vorwand für die Reise zu liefern, etwa die falsche Nachricht, daß seine Frau schwer erkrankt wäre.
    Der trostlose Anblick, der sie am Morgen entsetzt hatte, Nathans Pflege, die Stunden, die sie an seinem Krankenbette verbracht hatte, seine abgerissenen Erzählungen, dieser Todeskampf eines großen Geistes, der Flug des Genius, den ein gemeines, niedriges Hindernis hemmte, alles kam ihr wieder zu Bewußtsein und spornte ihre Liebe an. Sie ging ihre Empfindungen noch einmal durch und fand sich durch Nathans Unglück noch mehr verliebt, als durch seine Größe. Halte sie diese Stirn geküßt, wenn sie erfolggekrönt war? Nein. In den letzten Worten, die Nathan im Boudoir der Lady Dudley zu ihr gesagt hatte, fand sie etwas unendlich Vornehmes. Welche Heiligkeit in seinem Lebewohl! Welche Vornehmheit in der Preisgabe eines Glückes, das ihr zur Qual geworden wäre! Die Gräfin hatte sich Gefühlswallungen in ihrem Leben gewünscht. Nun hatte sie sie, überreich, furchtbar, grausam, aber sie liebte sie. Sie lebte stärker im Schmerz als im Genuß. Mit welcher Wonne sagte sie sich: »Ich habe ihn schon gerettet, ich werde ihn weiter retten!« Und sie hörte ihn wieder ausrufen: »Nur Unglückliche wissen, wie weit die Liebe geht!« als er die Lippen seiner Marie auf seiner Stirn gefühlt hatte.
    »Bist du krank?« fragte ihr Gatte sie, als er in ihr Schlafzimmer trat, um sie zum Frühstück zu holen.
    »Ich leide entsetzlich unter dem Drama, das sich bei meiner Schwester abspielt,« sagte sie, ohne die Unwahrheit zu sagen.
    »Sie ist in recht schlechte Hände geraten. Es ist eine Schande für eine Familie, einen du Tillet zum Verwandten zu haben, einen Mann ohne Adel. Stieße deiner Schwester ein Unglück zu, so fände sie bei ihm kein Mitleid.«
    »Welche Frau will etwas von Mitleid wissen?« sagte die Gräfin mit krampfhafter Bewegung. »Ihr Unbarmherzigen, eure Härte ist eine Gnade für uns.«
    »Daß du ein edles Herz hast, weiß ich nicht erst seit heute,« sagte Felix und küßte seiner Frau die Hand. Er war tief bewegt von ihrem Stolze. »Eine Frau, die so denkt, braucht man nicht zu bewachen.«
    »Bewachen?« wiederholte sie. »Noch eine Schande, die auf euch fällt.«
    Felix lächelte, aber Marie wurde rot. Wenn eine Frau sich heimlich vergangen hat, trägt sie den weiblichen Stolz besonders zur Schau. Das ist eine geistige Verstellung, für die man den Frauen dankbar sein muß. Der Betrug ist dann voller Würde, ja voller Größe. Marie schrieb ein paar Zeilen an Nathan unter dem Namen Quillet, um ihm zu sagen, daß alles gut ginge, und schickte sie durch einen Dienstmann nach dem Hotel du Mail. Abends in der Oper hatte die Gräfin den Vorteil von ihrer Lüge, denn ihr Gatte fand es ganz in der Ordnung, daß sie ihre Loge verließ, um zu ihrer Schwester zu gehen.

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