Eine Familie für Julianne
Stirn. „Da gibt es keine Diskussionen. Pippa bleibt bei dir.“
„Nicht Pippa. Gus.“
„Auch keine Diskussionen“, entgegnete Victor lächelnd. „Gus bleibt bei mir.“ Er ging in die Hocke, um den alten Labrador zu streicheln. „Bestimmt liebt er Strandspaziergänge.“
Als Victor sich wieder aufrichtete, lächelte er etwas schief. „Und jetzt muss ich dringend telefonieren. Ich wollte kein ‚Zu verkaufen‘-Schild draußen aufstellen, bevor ich mit dir geredet habe.“
„Das war sehr aufmerksam von dir“, erwiderte Julianne todernst, dann grinste sie. Als sie hinausging, hörte sie ihn schon mit dem Makler sprechen.
Tja, jetzt musste sie sich wohl ein eigenes Dach über dem Kopf suchen. Und einen Platz für die Töpferwerkstatt finden. Zum Glück war Gil gut versichert gewesen, sodass sie sich wenigstens über die finanzielle Seite keine Sorgen zu machen brauchte. So konnte sie auch als alleinerziehende Mutter zurechtkommen – und jederzeit ein Kindermädchen einstellen.
Nachdenklich setzte Julianne sich aufs Sofa. Aber war das die richtige Entscheidung?
Pippa brauchte ihren Vater, das stand fest.
Die Frage war nur: Brauchte auch sie Kevin?
Sehnsucht und Verlangen stiegen in ihr auf, als sie an ihn dachte. Aber reichte das?
„Lieber Gott, was soll ich bloß machen?“, flüsterte sie unter Tränen.
Dann schloss sie die Augen, blieb ganz ruhig sitzen und horchte lange in sich hinein.
Es dauerte eine Weile, aber dann hatte sie ihre Antwort.
10. KAPITEL
Julianne hatte das Gefühl, in einem dieser Filme gelandet zu sein, in denen ganz normale Menschen sich plötzlich mit Außerirdischen konfrontiert sehen. Denn als sie aus dem Gate des Springfielder Flughafens trat, wartete auf der anderen Seite der Sperre Santa Claus auf sie. Der rundliche Mann mit den schlohweißen Haaren und dem Rauschebart trug ein Schild mit der Aufschrift: Julianne und Pippa!!!!
Und neben ihm stand eine Frau in knallengen Leggins mit Leopardenmuster auf bleistiftdünnen, zehn Zentimeter hohen Absätzen und rief: „Da sind sie ja!“, und zwar mit starkem osteuropäischem Akzent.
Doch dann kam Santa Claus auf sie zu und nahm Julianne die Babytragetasche ab, und die blondierte Frau umarmte sie, wobei sie sowohl Julianne als auch Pippa in eine Wolke starken Parfums hüllte.
Und Julianne fühlte sich auf einmal unglaublich erleichtert.
„Sie sind doch Julianne, oder?“, fragte Santa Claus plötzlich etwas verunsichert.
Noch immer an den wogenden Busen der Blondine gedrückt, lachte Julianne auf. „Ja.“
„Ja, ich dachte, ich frage vorsichtshalber mal“, erwiderte Santa lächelnd. Dann streckte er ihr die Hand hin. „Benny Vaccaro. Und die Frau, die Sie da gerade erdrückt, ist Magda, meine Frau und Kevins Mutter.“
Magda ließ sie lange genug los, damit sie Benny die Hand schütteln konnte, doch der zog sie kurzerhand mit dem freien Arm auch an seine Brust. Dann legte ihr Magda eine sorgfältig mit Kunstnägeln manikürte Hand auf den Arm, sah sie aus von falschen Wimpern umrahmten Augen besorgt an und sagte: „Der Flug war bestimmt furchtbar!“
„Ach, es ging eigentlich“, antwortete Julianne, erschöpft, aber glücklich. „Das Schlimmste war die Wartezeit in St. Louis.“
Dann wandte sich Magda der Tragetasche zu. „Und schau dir diesen süßen Engel an! Sie sieht genauso aus wie Kev in dem Alter, findest du nicht, Benny?“
„Ich weiß nicht, was du meinst“, erwiderte Benny freundlich. „Ich erinnere mich daran, dass Kevin das hässlichste Baby war, das ich je gesehen habe. Aber lasst uns zum Auto gehen, um diese Zeit ist der Verkehr grässlich.“
„Stimmt ja gar nicht“, widersprach Magda und unterstrich ihre Worte mit dem Klacken ihrer hohen Absätze. „Nicht das mit dem Verkehr, das mit Kevin. Wir hatten sechs der süßesten Babys, die man sich nur vorstellen kann.“ Sie knuffte Benny liebevoll in den Arm, dann drückte sie Julianne einen Kuss auf die Wange. „Und jetzt haben wir die süßesten Enkel.“
Noch immer konnte Julianne kaum fassen, was passiert war. Doch als sie am Vortag endlich ihre Antwort gefunden hatte, hatte es damit auch keinen Grund mehr zu zögern gegeben. Sie konnte nur hoffen, dass sie das Richtige tat.
„Sie haben Kevin doch erzählt, dass ich komme, oder?“, fragte sie, plötzlich verunsichert.
Natürlich hatte sie Kevin angerufen, um ihm ihr Kommen anzukündigen. Doch sie hatte seinen Vater am Telefon gehabt, und auf einmal wollte sie Kevin das, was
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