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Eine Feder aus Stein

Eine Feder aus Stein

Titel: Eine Feder aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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ich je darüber hinwegkomme!«
    Er wich ein wenig zurück, und zu meiner Überraschung sah ich, dass er betroffen aussah. Sonst wirkte er immer wie ein knallharter Bursche, der schon zu viel gesehen und getan hatte, als dass ihn noch irgendetwas berühren könnte.
    »Nun, das wird unser Geheimnis bleiben«, erwiderte er gelassen.
    Damit nahm er mir allen Wind aus den Segeln. Mein Oberkörper sank auf den Boden, weg von ihm, und ich versuchte, das alles zu verdauen. Richard war vollkommen still, sein Gesicht dieselbe kühle Maske wie bei unserer ersten Begegnung. Als ich ihn jetzt so vor mir sah, wurde mir klar, wie viele Gefühle er mir in der Zwischenzeit gezeigt hatte, wie nachlässig er in dieser Hinsicht geworden war. Das war mir bislang gar nicht aufgefallen.
    Müde wand ich meine Hände in seinem Griff. »Lass mich los.«
    Er ließ von mir ab. Ich betrachtete die dunkelroten Druckstellen und wusste, morgen würden dort zwei fette Blutergüsse prangen. Ich rieb mir die Handgelenke, damit der Schmerz nachließ, und streckte mich dann mit dem Rücken zu ihm auf dem harten Holzboden aus. Clio die Große, wie mich irgendein Typ in der Zehnten mal genannt hatte. Und seht mich jetzt an, dachte ich matt. Ich bin nichts weiter als eine verdammte Platzverschwendung. Wie ein zerknitterter Haufen Klamotten, der hier am Boden herumliegt.
    »Warum hast du es getan?«
    »Hat Petra dir das nicht erzählt?«
    Ich zuckte die Achseln. »Ich hab mich nur gefragt, ob du vielleicht etwas hinzuzufügen hast.«
    »Nur, dass es mir wirklich leidtut. Jetzt, wo ich dich kenne, würde ich dir nie etwas antun.«
    »Nan sagt, wir sehen wie Cerise aus. Das war mir nicht bewusst«, erwiderte ich. Es war offensichtlich, was ich ihn als Nächstes fragen würde – hast du mich deswegen begehrt? Aber ich wollte die Antwort gar nicht wissen.
    »Du bist ganz anders als sie«, sagte Richard.
    »Was?« Ich schloss die Augen und hatte das Gefühl, nie wieder aufstehen zu können. Es war dunkel, Regen, Donner und Blitz hatten eine beruhigende Wirkung auf mich und waren so viel bedeutender als mein eigenes erbärmliches Leben. Ich wollte in einem Kokon aus grauem Licht und Regen sein.
    »Cerise. Du bist anders als sie. Du erinnerst mich nicht an sie. Eigentlich siehst du nicht mal wie sie aus. Es ist eher eine oberflächliche Ähnlichkeit.«
    »Wir sehen genau wie sie aus«, sagte ich mit monotoner Stimme. »Die Leute schnappen nach Luft, sobald sie uns sehen.« Und nur aus diesem Grund hast du mir nachgestellt. Marcels Reaktion bei unserer ersten Begegnung fiel mir wieder ein, und jetzt begriff ich, warum sie so stark gewesen war. Hatte Thais mir gesagt, dass wir Cerise so glichen? Ich wusste es nicht mehr.
    »Diese Leute sehen dich nicht, wie du wirklich bist. Cerise war … leicht wie Honig. Wie das Licht der Sonne. Sie war einfach zu fangen, aber es war unmöglich, sie zu halten. Wie ein Schmetterling.«
    »Nicht wie ich.« Noch ein verdammter Punkt mehr, der gegen mich sprach.
    »Nein.« Richard lachte kurz auf. »Du bist kein Schmetterling. An dir ist nichts leicht oder einfach.«
    Für einige Zeit herrschte Stille zwischen uns.
    »Du bist nicht wie Honig«, fuhr Richard schließlich fort. »Du bist wie Wein. Der tiefste, dunkelste Schatten an einem sengend heißen Tag. Du bist stark, robust, fließend wie eine Strömung am Grund eines Flusses.«
    Ich begann, leise zu weinen. Tränen liefen mir übers Gesicht und tropften auf den Boden.
    »Ich liebe niemanden«, sagte Richard düster. »Und auch dich liebe ich nicht. Aber ich sehe, was du wert bist, wie unglaublich viel du wert bist, mehr als jeder, den ich je gekannt habe.«
    Eine Weile verharrten wir so. Ich, die ich leise weinte, und Richard, der mich nicht berührte. Ich wünschte, irgendjemand würde mich umarmen. Irgendwann hörte ich auf zu weinen. Ich fühlte mich, als sei ich ungefähr tausend Jahre alt, älter als er, und setzte mich auf. Wenn es mir jetzt schon so ging, schoss es mir durch den Kopf, würde die Unsterblichkeit sehr viel schwerer zu ertragen sein, als ich gedacht hatte.
    »Ich muss gehen.« Verlegen stand ich auf. Meine Handgelenke brannten.
    »Clio … bitte glaub mir, es tut mir wirklich leid, dass ich versucht habe, dir und Thais etwas anzutun. Ich kann es mit nichts erklären, außer damit, dass ich einfach ausgeflippt bin. Doch du sollst wissen: Jetzt würde ich dir nie wieder etwas antun. Und ich würde es nicht zulassen, dass dir sonst jemand wehtut, wenn ich

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