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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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und ergab sich der Betrachtung dieses Ungetüms. Er sah den goldenen Namenszug am Bug und die mächtige 105-mm-Kanone, und mit einiger Verwunderung bemerkte er, dass auf der Kommandobrücke neben dem Kapitän in freundschaftlicher Nähe ein gemeiner Soldat stand. Erst war er sich noch unsicher, aber dann hatte er keinen Zweifel mehr: Die beiden hatten ihn ebenfalls entdeckt, wie er in seinem Klappsessel an der Spitze des Piers im Nebel saß, ein Glas Sherry in der einen, eine Zigarette mit ellenlangem Mundstück in der anderen Hand. Spicer winkte ihnen mit der linken Hand zu, in der er die Zigarette hielt, und die zwei Deutschen winkten zurück.
     
     
    Albertville, 10. Februar 1916. Telegramm an die königliche Admiralität in London. Habe heute Götzen aus nächster Nähe gesehen und kann ihre Geschwindigkeit nun mit einiger Sicherheit auf zehn Knoten schätzen, was mit Aussagen der deutschen Gefangenen übereinstimmt. Bewaffnung: 105-mm-Kanone am Bug, leichte Geschütze mittschiffs und achtern. Sehe keinerlei Aussicht auf erfolgversprechenden Angriff; dies umso weniger, als Mimi und Toutou nicht gefechtsbereit sind.
    Gezeichnet: G. B. Spicer Simson, Commander Royal Navy.
     

 
    25
    So wurde es still auf dem See
     
     
    Und dann kam wieder die Regenzeit über den Tanganikasee. Die Bäche schwollen an zu reißenden Strömen und stürzten sich als breite Wasserfälle über die Klippen, und der See stieg höher und höher, und auf dem Land wurde aller Staub zu Schlamm und aller Sand zu Sumpf. Wer sich aus dem Haus wagte, blieb nach wenigen Schritten im Schlamm stecken, und wer sich trotzdem weiterkämpfte, wurde von Milliarden Mücken, Fliegen, Taranteln, Giftschlangen und Tausendfüßlern gefressen. Wer aber im Sinn hatte, schweres Kriegsgerät über Land zu transportieren, konnte nichts anderes tun, als sich irgendwo ein Plätzchen im Trockenen zu suchen und einfach das Ende des Regens abzuwarten. Heerscharen von britischen, belgischen und deutschen Soldaten steckten monatelang in ihren Kasernen fest oder langweilten sich in improvisierten Unterständen, starrten tatenlos in den strömenden Regen hinaus und schwitzten und litten und starben zu Tausenden an den tropischen Krankheiten, die der Monsun mitgebracht hatte.
    Aber nicht nur auf dem Land, auch auf dem See war alle Bewegung zum Erliegen gekommen. Commander Spicer Simson wagte sich nicht mehr aufs Wasser, seit er die imposante Gestalt der Götzen gesehen hatte – nicht ahnend, wie wehrlos sie war, seit ihre großmächtige Bordkanone durch eine grau bemalte Kokospalme ersetzt worden war. Kapitänleutnant von Zimmer seinerseits behielt die Götzen ebenfalls im Hafen zurück, weil er durch einheimische Spione von der Existenz Mimis und Toutous erfahren hatte – nicht wissend, dass die beiden pfeilschnellen Boote derart beschädigt waren, dass man die Bordkanonen hatte entfernen müssen.
    So wurde es still auf dem See, der Krieg legte eine Pause ein. Die einzigen Fahrzeuge, die sich zögerlich wieder hervorwagten, waren die arabischen Segeidhaus, die bei Kriegsbeginn spurlos verschwunden waren. Commander Spicer Simson vertrieb sich die Zeit, indem er Telegramme an die Admiralität verfasste und um Entsendung eines neuen Dampfers bat, der es an Größe, Geschwindigkeit und Bewaffnung mit der Götzen aufnehmen könnte; und am gegenüberliegenden Seeufer nutzte Kapitänleutnant von Zimmer die Zeit des Stillstands, um sich auf den feindlichen Angriff vorzubereiten, der unvermeidlich nach dem letzten Regentag einsetzen würde. Dabei kam ihm zustatten, dass die Eisenbahn einigermaßen unempfindlich gegen den Regen war.
    Alle paar Tage verließ ein Eisenbahnzug den Bahnhof von Kigoma ostwärts in Richtung Tabora, wo sämtliche deutschen Kolonisten sich zum Widerstand gegen die Invasoren versammelten; von hier aus würden die Männer mit der Schutztruppe im Busch verschwinden und den Guerillakrieg aufnehmen, und Frauen und Kinder würden unter der Führung Ada Schnees in geordnetem Zug und möglichst hocherhobenen Hauptes in Kriegsgefangenschaft gehen. Der Kapitänleutnant ließ sämtliche Waggons bis obenhin anfüllen mit allem, was dem Feind nicht in die Hände fallen durfte: in erster Linie Waffen und Munition, dann aber auch die Werkzeuge aus der Werft und jene aus der Eisenbahnwerkstatt, die Medikamente aus dem Lazarett, die Petroleum-Vorräte und sämtliche Schafe, Ziegen, Hühner und Schweine des Dorfes. Dann verlud er auch die Warenlager der deutschen

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