Eine Frage der Zeit
den Tod befördert hatte. Er schämte sich vor sich selbst und vor seiner Gefährtin Amy, der er nach seiner Rückkehr Rechenschaft über seine Taten würde geben müssen, und er schämte sich vor den Eingeborenen und vor seinen Soldaten, die Zeugen seiner belanglosen Tat gewesen waren. Tage-und wochenlang schloss er sich in seiner Hütte ein, tat keinen Schritt vor die Tür und ließ niemanden zu sich außer seinem persönlichen Diener, der ihm Essen und Trinken brachte und den Nachttopf leerte.
Nach einiger Zeit aber verwandelte seine Scham sich in Trotz. War es denn seine Schuld, dass dem Krieg jede metaphysische Tiefe abging? Konnte er etwas dafür, dass sich die Läuse unausrottbar in die Nähte seiner Paradeuniform eingenistet hatten? Musste wirklich er sich ganz allein die Verantwortung dafür auf die Schultern laden, dass seine Untergebenen grobschlächtige Gesellen waren? War es sein Fehler, dass der Darminhalt des deutschen Bootsführers nach verdorbenem Hammelfleisch gerochen hatte, und dass sich dessen Blut mit dem Kot der verängstigten kleinen Ziege vermengt hatte, und dass weit und breit bis zum Horizont in allem, was an den Ufern dieses Sees geschah, nicht der geringste Sinn zu entdecken war?
Nein, für die Macht der Umstände wollte Commander Geoffrey Basil Spicer Simson sich nicht haftbar machen lassen. Wirklich verantwortlich war er nur für die Haltung, mit der er selbst diesen Umständen entgegentrat. Also beschloss er, seiner wehleidigen Grübelei ein Ende zu machen und Haltung anzunehmen. Es war am zweiten Samstag des Jahres 1916, als er seinen Diener zu sich rief und ihm erklärte, dass er fortan jeweils mittwochs und samstags pünktlich um vier Uhr ein Bad zu nehmen gedenke, und zwar draußen vor seiner Hütte. Der Diener nickte und rannte los, um das Bad zu bereiten, und in der Folge entwickelte sich daraus ein Ritual, das jeden Mittwoch und Samstag nach exakt dem gleichen Schema ablief und bei den Eingeborenen der umliegenden Dörfer große Beliebtheit erlangte. Es begann jeweils damit, dass pünktlich um Viertel vor vier Uhr die Tür zu Spicers Hütte aufflog und unter den Blicken des dörflichen Publikums, das sich in Erwartung des Spektakels in respektvollem Abstand versammelt hatte, gemessenen Schrittes Spicers Diener heraustrat. Er trug eine zusammengerollte Matte auf der Schulter und breitete diese, der Bedeutsamkeit seiner Aufgabe wohl bewusst, an exakt jener Stelle aus, an der die rituelle Waschung stattzufinden hatte. Während er in die Hütte zurückkehrte, drängelten und schubsten und stießen sich die Zuschauer im Kampf um die besten Plätze, und als er mit einer faltbaren Badewanne aus grün gummiertem Segeltuch zurückkehrte, um diese neben der Matte aufzustellen, hatte sich das Publikum zu einem Halbkreis formiert, in dem die Größten hinten standen und die Kleinsten vorne knieten. In den folgenden Minuten holte der Diener eimerweise Wasser aus einem nahebei vorbeifließenden Bach, und als die Wanne voll war, steckte er einen Finger ins Wasser, um dessen Temperatur zu fühlen, und holte ein Beistelltischchen, auf das er eine Flasche Sherry und ein Trinkglas stellte. Als das alles erledigt war, kehrte er zurück in die Hütte seines Herrn und verkündete diesem, dass das Bad bereit sei.
Pünktlich um vier Uhr erschien dann Spicer selbst unter der Tür, nackt bis auf seine Pantoffeln und das Handtuch, das er sich um die Hüfte gebunden hatte. Er blieb im Schatten des Vordachs stehen und musterte in aller Ruhe die Menschenmenge, die sich um sein Bad versammelt hatte, und dabei rauchte er eine Zigarette. Majestätischen Schrittes ging er zur Wanne, stieg auf der Matte aus den Pantoffeln und ließ das Handtuch fallen, worauf der Blick auf seinen lückenlos tätowierten Körper frei wurde und ein bewunderndes Raunen durch die Zuschauerränge ging. Er reichte Zigarette und Mundstück seinem Diener und machte ein paar Kniebeugen, gefolgt von einigen Liegestützen, welche die Schlangen auf seinen Schultern und die Vögel an seinen Lenden besonders lebensecht in Bewegung versetzten, und dann ließ er sich ins Wasser gleiten, seifte sich mit stark parfümierter Seife gründlich ein und schrubbte sich kräftig ab.
Es geschah am dritten Mittwoch des Jahres 1916, dass Spicer, während er sich einseifte und den Blick über die spiegelglatte Oberfläche des Tanganikasees gleiten ließ, hinter den Klippen nördlich der Lukuga-Mündung eine schwarze Rauchfahne entdeckte. Er legte die
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