Eine Frage der Zeit
Lüftungsschieber er ziehen musste, wenn der Gießereiofen zu bullern anfing, und bei welcher Last der Drehkran zu kreischen begann, und mit welchem Büromädchen der Prokurist eine Romanze unterhielt, und welcher Pferdeknecht jeden Samstag einen halben Sack Hafer stahl. Die Werkzeuge der Schlosserei waren ihm derart vertraut, dass sie sich seinen Händen angepasst hatten, oder vielleicht war es umgekehrt – jedenfalls waren alle Werkzeuge seine Werkzeuge, und im Grunde genommen war die ganze Schlosserei seine Schlosserei. Auch die Gießerei war seine Gießerei, und die Tischlerei war seine Tischlerei, und die Lehrlinge waren seine Lehrlinge, und überhaupt war die ganze Meyer Werft seine Werft, und der alte Meyer war sein alter Meyer. Gegenüber dem Chef hegte er ein Gefühl loyaler Zugehörigkeit, das nicht eigentlich Zuneigung, sondern eher kannibalischer Einverleibungsgier entsprang; am liebsten hätte er den vornehmen grauen Spitzbart des alten Meyer für sich gehabt, ebenso dessen sanfte Stimme und die hohe Stirn und den schwermütigen Blick; er hätte wie jener einer Dynastie von Werfteignern angehören wollen, die seit Jahrhunderten in Papenburg Schiffe baute, und er hätte ebenfalls die königliche Schiffbauschule in Grabow besucht haben wollen, und er hätte gern auf dem Werftgelände in einer Villa gewohnt. Da er aber jener Welt nie angehören würde, legte er großen Wert darauf, sich nicht zu ihrem Affen zu machen; er wollte keine weißen, gestärkten Stehkragen tragen und kein Grammophon mit Wagner-Schallplatten besitzen, und er wollte auch nicht, dass seine Töchter, die zwei, drei und fünf Jahre alt waren, jemals Chopin spielten und Französisch lernten. Er wollte, dass sein blaues Arbeitskleid morgens sauber war und abends schmutzig, und er war Vorturner im Arbeiterturnverein, und seine Töchter waren zuständig für die Kaninchen im Stall hinter dem Haus, und seine Frau puderte sich höchstens an hohen Feiertagen, und wenn ihre Cousine aus Hamburg zu Besuch kam. Vor ein paar Jahren, als er Anfang zwanzig gewesen war, hatte er zuweilen davon geträumt, eine von Meyers Töchtern zu heiraten und Einlass in die Familie zu finden. Einen Sommer lang hatte er den Hals nach weißen Sonnenschirmchen, rosa Taftkleidern und zarten, geschnürten Bottinen verdreht, und als Meyers jüngste Tochter im Herbst zurück ins Internat nach England fuhr, hatte er ihr zwei oder drei Briefe geschrieben. Jetzt war er froh, dass er die Briefe nie abgeschickt, sondern im folgenden Frühjahr die Kapitänstochter Susanne Meinders geheiratet hatte, mit der ihn seit der Kindheit eine tiefe, unverbrüchliche Kameradschaft verband. Zwar hatte Susanne deutlich breitere Fesseln und keine plötzlichen Ohnmachtsanfälle, und es war ihr auch nicht gegeben, auf interessante Art an der Welt zu leiden. Aber sie hatte ihre ersten Lebensjahre mit den Eltern auf See verbracht, und sie konnte anhand der Sterne navigieren und wusste, wie es in den Hafenvierteln von Portsmouth, Sankt Petersburg und Valparaiso aussah.
Auf einem Gruppenbild, das am Tag der Schiffstaufe entstand, posiert Rüter vor einer Bretterwand – ein kräftiger Handwerker mit wilhelminischem Schnurrbart, der mit verschränkten Armen und weit aufgerissenen Augen darauf wartet, dass der Fotograf unter seinem schwarzen Tuch hervorkommt und Entwarnung gibt. Betrachtet man sein jugendlich rundes Gesicht unter der bereits gelichteten, mit zwei langen Querfalten gefurchten Stirn, so glaubt man eine ahnungsvolle Schicksalsergebenheit zu erkennen. Gut möglich, dass er am Vorabend seiner Afrikareise um die Gefahren einer langen Schiffsreise, um die Unerbittlichkeit des äquatorialen Klimas und die Brutalität des kolonialen Alltags weiß; vielleicht hat er sogar schon vom geradezu lächerlich sadistischen Erfindungsreichtum gehört, den Gott bei der Schaffung der Tropenkrankheiten unter Beweis gestellt hat. Trotzdem wird er die Reise tun, weil er sie tun muss. Die Götzen ist sein Schiff, und Joseph L. Meyer zählt auf ihn. Rüter ist von allen tüchtigen Schiffbaumeistern der jüngste, von allen zuverlässigen der kräftigste, von allen erfahrenen der klügste. Wenn er die Götzen nicht nach Afrika bringt, wer dann?
Eines Abends, als die Kleinen im Bett waren, wollte er die Angelegenheit mit seiner Frau Susanne besprechen. Sie ist ein großes, starkes und kluges Weib, und er hält große Stücke auf ihre Meinung. Susanne ließ die Zeitung sinken, die sie gerade las, und musterte
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