Eine Frage der Zeit
an Gott glaubten. Wichtig war auch nicht, ob Gott an Rüter, Wendt und Tellmann glaubte. Wichtig war, dass Gott an das Schiff glaubte, und dass er ihm seinen Segen gewährte. Die drei Männer warfen sich auf die Knie, zerknüllten ihre Mützen in den Fäusten und warteten ergeben darauf, dass der Pfarrer zu einem Ende käme.
Zur gleichen Zeit lebte am anderen Ende Afrikas, im äußersten Westen des Kontinents, jener Mann, der schon bald den Auftrag erhalten sollte, nach Deutsch-Ostafrika zu fahren und mit einer Dreipfund-Kanone ein deutsches Dampfschiff zu versenken. In jenem November 1913 aber hatte er davon noch keine Ahnung, sondern steuerte ein kleines, verrußtes Dampfboot über den Gambia-Fluss. Er hielt sich immer dicht am Ufer, an der schweigenden Wand ineinander verschlungener Mangroven entlang, hinein ins Herz der Finsternis. Das Wasser floss zäh und war brackig braun, das Land menschenleer und derart flach, dass das Salzwasser des Atlantischen Ozeans zweihundert Kilometer tief in den Flusslaufeindrang. Bei Flut standen die Mangroven metertief unter Wasser, bei Ebbe rieselten unzählige Rinnsale und krochen Scharen von Taschenkrebsen und anderen phantastischen Geschöpfen durch den faulig riechenden Schlamm. Die Männer an Bord des Dampfbootes hielten scharf Ausschau nach Sandbänken, verborgenen Felsen und gefallenen Bäumen, die braun in braun und messerscharf in den Strom ragten und den Bootsrumpf der Länge nach aufschlitzen konnten. Weiter flussaufwärts wurde das Land trocken, der Mangrovenwald lichtete sich. Die ersten Ölpalmen tauchten auf, dann Affenbrot-, Mahagoni-und Kalebassenbäume, hin und wieder Drachenblut-, Ebenholz-und Wollbäume. Gelegentlich zeigte sich ein Buschbock am Ufer, manchmal turnten Schimpansen in den Bäumen. Löwen, Giraffen und Elefanten gab es seit ein paar Jahren – seit britische Großwildjäger die Gegend entdeckt hatten – keine mehr. Das Boot kam nur langsam voran, denn die Dampfrohre waren undicht, die Antriebswelle war verbogen und die Schraube schrundig. Aber das war egal, denn Eile hatte keiner, und die Reise hatte wohl einen Zweck, aber kein Ziel und kein Ende. Seit bald drei Jahren quälte sich das Dampferchen über den Gambia-Fluss, und die Männer an Bord wussten, dass es nie wieder anderes Wasser unter dem Kiel haben würde. Während der Mittagshitze gingen sie stundenlang vor Anker. Dann dösten die vier schwarzen Matrosen in ihren Hängematten, die zwei Offiziere schossen Krokodile oder spielten Schach unter dem Schattendach, und der Kommandant übertrug seine Daten vom Notizbuch auf die Karte. Nachmittags um vier tranken sie Tee, denn sie waren Briten. Dann kroch das Boot nochmal zwei Stunden den mäandernden Fluss hinauf, den Stromschnellen hinter Fatoto entgegen, manchmal auch flussabwärts ins Mündungsdelta, wo der ewige Modergeruch des Dschungels einer frischen atlantischen Brise wich. Am Abend, wenn sich Milliarden Insekten aller Größen über dem Wasser sammelten, ging das Boot in einer ruhigen Flussbiegung vor Anker. Nachts kamen die Flusspferde, um sich an seinem Rumpf zu scheuern. Dann geriet das Boot ins Schaukeln, unter dem Sonnendach trudelten die Petroleumlampen, der Brandy in den Gläsern schwappte über, und die Männer fluchten, griffen zu den Gewehren und Schossen den walfischartig breiten Rücken hinterher, die grunzend und prustend in die Nacht abtauchten.
So hat sich Leutnant Geoffrey Spicer Simson seine Karriere nicht vorgestellt. Wenn die Welt ein gerechter Ort wäre, würde er jetzt nicht an seiner Ruderpinne sitzen, sondern hoch oben auf der Kommandobrücke eines Schlachtschiffs stehen; er würde über drei-oder vierhundert tadellose Navy-Matrosen gebieten, und er würde seine Befehle von Churchill persönlich empfangen, und sein Schiff wäre blitzblank und würde mit fünfundzwanzig Knoten pro Stunde auf den Ozeanen dieser Welt kreuzen. Stattdessen befehligt er ein Dampfboot mit einer kleinen Messingpfeife oben dran, das vorne und hinten leckt und vielleicht mal seetüchtig war, und das irgendwann im letzten Jahrhundert auf den Namen Rose getauft wurde. Spicer kennt die Rose gut, denn er hat sie 1911 eigenhändig von England nach Afrika gebracht. Schon auf jener Fahrt hat ihm das Boot eine erste Demütigung angetan, weil er die freie Atlantikfahrt nicht wagen durfte und stattdessen durch die Kanäle Frankreichs nach Marseille kriechen musste, von dort immer brav die Küste entlang über Gibraltar und Dakar bis nach
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