Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
Vom Netzwerk:
auf die Beine und knöpfte unauffällig seine Pistolentasche auf. Der Massai schlenderte zwischen den am Boden liegenden Soldaten hindurch und grüßte freundlich nach links und nach rechts. Sein Gang war geschmeidig und elegant; augenscheinlich hatte er sich von den Verletzungen, die ihm die Nilpferdpeitsche zugefügt hatte, gut erholt. Der Kapitänleutnant hob anerkennend die Brauen. Der Kerl hatte wirklich Schneid, das musste man ihm lassen.
    «Guten Tag, Herr Kapitänleutnant», sagte Mkenge, als er auf ein paar Schritte herangekommen war. «Wie geht es Ihnen?»
    «Das ist hier militärisches Sperrgebiet», erwiderte von Zimmer, der sich nicht auf Vertraulichkeiten einlassen wollte. «Zivilisten haben keinen Zutritt.»
    «Mit Verlaub, ich bin kein Zivilist. Wir Massai sind genauso professionelle Krieger wie Ihre Soldaten, Herr Kapitänleutnant, und ich bin ein ebenso hochrangiger Führer wie Sie. Mindestens.»
    «Sie sind kein Angehöriger der Kaiserlichen Schutztruppe.»
    «Da muss ich Ihnen allerdings vorbehaltlos recht geben. Aber ich habe hier einen Gegenstand gefunden, der möglicherweise Eigentum der Kaiserlichen Schutztruppe ist. Da hielt ich es für richtig, ihn der Kaiserlichen Schutztruppe zurückzugeben, damit die Kaiserliche Schutztruppe nach Gutdünken über ihn verfügen kann.»
    «Quatschen Sie nicht, Mann, und geben Sie her.» Dem Kapitänleutnant stieg der Ärger zu Kopf, dass ihm die Adern am Hals und an den Schläfen schwollen. Er ärgerte sich erstens, dass der Massai ihn in rheinländischer Mundart ansprach, deren gequälter Frohsinn ihm schon bei den Kölnern, viel mehr noch aber bei einem Afrikaner auf die Nerven ging. Zweitens ärgerte er sich über sich selbst, dass er dem frechen Kerl nicht sofort eine geschmiert hatte, sondern ihn im Gegenteil auch noch siezte; der Kapitänleutnant war sich bewusst, dass er wohl weltweit der einzige deutsche Kolonialbeamte war, der jemals einen Eingeborenen gesiezt hatte. Er nahm die golden glänzende Scheibe an sich und betrachtete sie misstrauisch. Sie bestand aus einer Glasscheibe, die von einem Messingring eingefasst war, und dieser war durch ein Scharnier mit einem zweiten Messingring verbunden.
    «Ich vermute, dass es sich hierbei um ein Bullauge handelt, Herr Kapitänleutnant.»
    «Das sehe ich auch, Sie Kanaille. Wo haben Sie’s her?»
    «Gefunden, mitten im Busch. Ich hielt es für richtig, Ihnen das Bullauge unverzüglich zu bringen. Es gehört vermutlich zur Götzen, nicht wahr?»
    «Klappe halten. Da, wo Sie’s gefunden haben, liegt nicht zufällig noch mehr Zeug rum?»
    «Leider nein.»
    «Und der Krug, den Sie da in der Hand haben?»
    «Der enthält gepökeltes Hammelfleisch, Herr Kapitänleutnant, scharf gewürzt mit erstklassigem Curry aus Sansibar. Möchten Sie kosten?»
    «Quatschen Sie nicht. Weshalb führen Sie das Hammelfleisch ausgerechnet hier spazieren?»
    «Das soll ich den Herren Schiffbauern als Geschenk überreichen. Von einer Dame – einer einheimischen.»
    «Meinetwegen. Dort drüben sind die drei, bei den Bananenstauden. Und jetzt scheren Sie sich zum Teufel.»
    «Zu Befehl, Herr Kapitänleutnant.»
    «Und lassen Sie sich nie wieder in der Kaserne blicken.»
    «Danke für den Rat, Kapitän, und alles Gute. Passen Sie ebenfalls gut auf sich auf. Besonders außerhalb der Kaserne.»
     

 
    22
    Spicer nimmt ein Bad
     
     
     
    Zu Spicer Simsons Erstaunen schmeckte der Triumph längst nicht so süß, wie er sich das zeitlebens ausgemalt hatte. Gewiss war es ein Augenblick unermesslicher Genugtuung gewesen, als nach so vielen Monaten entbehrungsreicher Plackerei endlich das feindliche Schiff in Sicht kam und auch gleich in Flammen aufging, und selbstverständlich war er erleichtert gewesen, dass nicht er selbst, sondern der Feind hatte dran glauben müssen. Aber auf den Siegesrausch folgte sehr bald die Ernüchterung. Immer und immer wieder spielte sich das Gefecht vor seinem geistigen Auge ab, hundert Mal jeden Tag und tausend Mal jede Nacht schossen Mimi und Toutou über den See hinaus und heulten die Projektile durch die Luft, und in dieser endlosen Wiederholung beobachtete er mit besonderer Aufmerksamkeit stets sich selbst, unterzog jeden seiner Befehle, jede Geste und jeden Schritt einer strengen Prüfung vom Beginn der Aktion bis zur triumphalen Einfahrt in den Hafen – und kam stets zum Resultat, dass sein Verhalten als Offizier und Kommandant ganz und gar tadellos, einwandfrei und vorbildlich gewesen

Weitere Kostenlose Bücher