Eine französische Affäre
deutlich, daß Canéda lachen mußte. Dann nahm sie den Brief vom Tisch und las ihn aufmerksam.
Mit fester, befehlsgewohnter Handschrift hatte jemand geschrieben:
»Mein lieber Enkel!
Mit großer Freude haben Dein Großvater und ich erfahren, daß Du Graf von Langstone geworden bist und damit Oberhaupt einer vornehmen Familie.
Wir sind der Ansicht, daß es im Interesse unserer beiden Familien liegt, das Schweigen zwischen uns zu beenden, und daß Du nicht nur Deine älteren Verwandten wie Deinen Großvater und mich kennenlernen solltest, sondern auch Deine Base und Deinen Vetter, Hélène und Armand, die darauf brennen, England zu besuchen.
Für Hélène, die achtzehn ist, wird es Zeit, vor Ihrer Majestät, der Königin, einen Knicks zu machen, und für Armand, an einem Empfang beim Prinz von Wales teilzunehmen. Aber es wäre für sie natürlich wesentlich angenehmer, wenn sie Deinen Beistand hätten.
Doch zunächst wollen Dein Großvater und ich eine Einladung an Dich aussprechen, uns hier zu besuchen und die noch lebenden Mitglieder der Familie Bantôme kennenzulernen, zu der Du gehörst.
Wir wären natürlich entzückt, wenn Dich Deine Schwester begleiten könnte, und wir würden alles in unserer Macht Stehende tun, um Deinen Besuch so erfreulich wie möglich zu machen.
Ich verbleibe in Erwartung einer bejahenden Antwort Deine Großmutter, die Du unglücklicherweise nie kennengelernt hast.
Eugénie de Bantôme.«
Als sie den Brief zu Ende gelesen hatte, schnaubte Canéda empört. »Du hast recht, Harry. Es ist unglaublich!« sagte sie. »Nachdem sie Mama behandelt haben, als wäre sie spurlos vom Erdboden verschwunden, wagt es unsere Großmutter, solch einen Brief zu schreiben! So eine Frechheit ist mir noch nicht untergekommen.«
»Ich stimme dir zu«, rief Harry aus.
»Mama hat mir einmal erzählt«, sagte Canéda mit leiser Stimme, »daß sie ihrer Mutter, als du geboren warst, geschrieben hat, sie habe einen Sohn, weil sie dachte, es werde sie freuen.«
»Ich kann mir denken, was geschehen ist«, antwortete Harry. »Sie erhielt keine Antwort.«
»Noch schlimmer, der Brief kam ungeöffnet zurück.«
»Das hätte ich mir denken können. Wie können sie es dann wagen, uns jetzt zu schreiben, bloß weil sich unsere Verhältnisse geändert haben? Ich glaube, wenn Papa ein Graf gewesen wäre, als er mit Mama durchbrannte, hätten sie ihr verziehen, daß sie den Herzog verschmäht hat.«
»Ich hasse sie!« rief Canéda. »Manchmal, wenn Mama mir von ihrer Kindheit erzählte, merkte ich, wie groß ihr Heimweh war und wie sehr sie sich danach sehnte, nicht nur ihre Freunde wiederzusehen, sondern auch die Dordogne.«
»Ich weiß«, gab ihr Harry recht. »Sie liebte den Fluß.«
»Sie pflegte von dem Fluß zu sprechen und den Schlössern, die ihm, wie sie sagte, ein märchenhaftes Aussehen verliehen. Es klang alles so romantisch, daß ich selber Sehnsucht bekam, es zu sehen. Aber ich habe nie gedacht, daß ich je Gelegenheit dazu haben würde, weil unserem Papa Frankreich versperrt war.«
»Daran war der verfluchte Herzog schuld«, sagte Harry. »Als Papa feststellen mußte, daß er nicht mehr hinfahren konnte, war er sehr verletzt.«
Canéda seufzte. »Sie haben gewiß einen hohen Preis dafür bezahlt, daß sie miteinander fortgegangen sind, aber ich glaube nicht, daß sie es je bereut haben.«
»Nein, natürlich nicht«, stimmte ihr Harry zu. »Ich habe niemals zwei Menschen gesehen, die so glücklich miteinander waren wie Papa und Mama, und ich hoffe nur, daß ich wenigstens halb so glücklich sein werde, wenn ich einmal verheiratet bin.«
»Genauso denke ich auch«, sagte Canéda. »Deshalb wirst du verstehen, daß ich, was Tante Anne auch sagt, Lord Warrington nicht heiraten kann und auch keinen anderen von diesen dummen jungen Männern, die nichts Besseres zu tun haben, als zu versuchen, mir einen Kuß zu rauben.«
Harry lachte. »Du solltest dich geschmeichelt fühlen.«
»Das bin ich aber nicht«, sagte Canéda. »Wenn ich heirate, will ich einen Mann, der sich von denen, die ich bis jetzt kennengelernt habe, grundlegend unterscheidet.«
»Laß es mich wissen, wenn du ihn gefunden hast«, sagte Harry. »Ich will dir nicht verschweigen, daß die Tanten sich beklagen, du könntest ins Gerede kommen, und das ist etwas, was sie aus tiefstem Herzen mißbilligen.«
Canéda zuckte die Achseln. »Ich kann nichts dafür, wenn die Männer sich in mich verlieben«, sagte sie, »und ich weiß, daß
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