Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
Er schüttelte den Kopf und trat nach mir, er trat mir gegen das schmerzende Bein.
Fick deine Mutter, Bobar. Aber er hatte den Köder geschluckt, das wußte ich schon. Ich war alt, aber ich war nicht auf den Kopf gefallen. Jedenfalls war Erik Pišk, glaube ich, völlig durcheinander. Das heißt, wie gesagt, er hatte den Köder geschluckt. Er hielt mich auf der Straße an, manchmal kam er bei mir vorbei, ins Haus oder in den Garten, und stellte mir seltsame Fragen. Zum Beispiel welche Haarfarbe Adriana gehabt habe. Deine Frau Adriana war blond, nur vorn hatte sie eine schwarze Strähne, die ihr in die Augen hing, sagte ich. Ein andermal fragte er, bei welcher der kleine Zeh gefehlt habe, worauf ich sagte, am Gang der ungarischen Erzsébet hätte ich gesehen, daß ihr ein Stückchen Fleisch oder Knochen am Fuß fehlte, während Svetlana eine verrenkte Hüfte gehabt habe und deshalb hinkte, Adriana hingegen hätte nicht ein einziges Loch in den Zähnen gehabt. Erzsébet zeichnete schön, Adriana kühlte mit dem ersten Schnee die Traurigkeit des Herbstes in ihrem Schoß, und Svetlana fing Wespen, ohne gestochen zu werden.
So erzählte ich Erik Pišk von seinen toten Frauen, und er stellte Fragen oder schwieg nur, er ließ es zu, daß ich Gott weiß was zusammentrug, und es war offensichtlich, daß er den Köder ganz geschluckt hatte. Ich bin nicht mehr jung, aber ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Die Beine tun mir weh. In aller Herrgottsfrühe war ich schon draußen auf dem Feld oder harkte im Kirchgarten. Dann mußte ich immer daran denken, daß Erik Pišk vielleicht gerade in diesem Augenblick auf seine neueste Frau stieg, auf diese kleine Frau, deren Namen ich nicht kannte. Er legt sich mit seinem riesenhaft großen Körper auf sie und besteigt sie wieder und wieder. Und natürlich ging mir auch im Kopf herum, ob es wohl krankhaft war, daß ich daran denken mußte. Ich sah sie geradezu vor mir. Ist es denn krankhaft, wenn ich meinen Nachbarn mit seiner Frau sehe, genauer, wenn ich mir einfach vorstelle, wie sie vögeln? Sagen wir, ich will mir das eigentlich überhaupt nicht vorstellen, die Vorstellung kommt mir einfach ungebeten. Ich bin einsam. Die Beine tun mir weh. Aber ich bin nicht auf den Kopf gefallen, und ich habe beschlossen, das heißt, etwas in mir hat beschlossen, daß ich eine Frau haben werde. Vielleicht ist das Liebe. Dieser Entschluß, der ist wie meine Phantasterei. Daß ich es gar nicht so sehr will, denn ich habe keinen Willen, ich gebe diesem Entschluß nur eine Form, mein Körper, meine Seele werden ihm seine Behausung geben, nicht ich erfinde ihn, nicht ich bestimme über ihn, nicht ich besitze ihn, ich nicke einfach nur und sage ja.
Ja, ja, ja.
Irgendwie so.
Wenn man den Lebenden zu viel von den Toten erzählt, ja, dann werden die Lebenden unruhig. Und ich redete ständig auf Erik Pišk ein, ich würde ihm eine seiner Frauen abkaufen, egal welche. Ich versprach ihm fünftausend Deutschmark. Ich versprach ihm Geld, machte allerlei Angebote, und Erik Pišk schluckte den Köder. Er hatte nach ihm geschnappt und ihn geschluckt. Er hatte ihn geschluckt, fertig. Das sage ich nicht, weil ich besonders klug wäre. Ich habe wenig Verstand, aber den setze ich gut ein.
So kam es, daß eines Morgens, als der Hahn noch nicht heiser war, Erik Pišk an mein Fenster klopfte und sagte, die neue Frau aus der Welt der Segediner Einödhöfe sei da. Er gebe sie mir. Er verlange kein Geld. Sie heiße Bababa. Er gebe, sagte er, Bababa mir und wolle nichts Böses mehr. Keinen weiteren Tod, nein, nichts. Dann zog er an seiner Pfeife und ging. Ich sah, daß er die Richtung zum Friedhof einschlug. Ich lächelte, denn ich hatte gesiegt. Zumindest was Erik Pišk betraf, der seine drei Frauen zu Tode bestiegen hatte, die vierte aber nicht mehr. Ob ich auch mich selbst überwinden kann, ist eine andere Frage. Ich bin alt, die Beine tun mir weh. Ich schaue aus der Küche ins Halbdunkel des hinteren Zimmers. Ich sitze in der Küche, rauche, wie einer, der glücklich ist. Und Bababa liegt im Bett und zittert. Sie kann nicht singen, ihr ganzes Blut hätte Platz in meinem Mund, ich könnte damit gurgeln, und statt zu weinen, zittert sie nur. Nichts kann sie, glaube ich, das ist es, was Bababa wirklich ausmacht, daliegen und zittern. Es ist still, und endlich habe ich eine Frau, sie gehört mir, ich habe sie geschenkt bekommen. Nicht einmal bezahlen mußte ich für sie. Kein schlechtes Gefühl, aber. Und es ist auch warm,
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