Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
Vom Netzwerk:
weil sie nicht singen konnte. Ich kniete mich neben sie. Streichelte ihr Gesicht. Sie lächelte, nickte. Ja, auch sie höre es. Sie höre, wie auf ihrem Körper das Blut, der Schlamm und der süße Melonensaft zusammenfinden und ein seltsames kleines Liedchen anstimmen.

Bababa Pišk
    Ich weiß nicht, wie andere es machen, aber im Winter des vergangenen Jahres hat Erik Pišk schon seine dritte Frau begraben, und kaum war das Trauerjahr vorüber, da stolperte schon eine neue neben ihm daher, die er sich aus der Welt der Segediner Einödhöfe hatte bringen lassen. Sie war ein kleines, schmächtiges Geschöpf, und als ich ihr gründlicher nachschaute, kam mir der Gedanke, daß sie womöglich noch nie in ihrem Leben ausgespuckt hatte, weil ihr sogar dazu der Mut fehlte. Die Frau hatte einen häßlichen Gang und wohl auch nicht viel Blut, ihre Stimme war nicht zu hören. Erik Pišk hatte drei Frauen gehabt, und es ging das Gerücht, er habe sie zu Tode bestiegen. Alle drei, Adriana, Svetlana und Erzsébet, waren daran gestorben, daß der Mann, dieser großgewachsene rotgesichtige Mensch mit der Pfeife, sie Tag und Nacht bestieg, selbst wenn er mittags kurz zum Essen vorbeikam, bestieg er sie, und auch nachts kroch er ein paarmal auf sie, und nicht einmal als der Krieg ausbrach und sogar die Vormittage zerbombt wurden, konnte er damit aufhören. Erik Pišk bestieg seine Frauen, ob es still war oder ob der Himmel dröhnte, das war seine Natur, er konnte nichts dafür.
    Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wie es ist, ständig jemanden zu besteigen, einen anderen Menschen, selbst wenn es deine Frau ist, aber auch das ist wohl falsch, wie ich es sage, denn ich weiß ja nicht einmal, wie das ist, jemanden zu besteigen, so ganz allgemein, weil ich noch nie mit einer Frau zu tun gehabt habe. Ich habe Angst vor ihnen. Das ist die Wahrheit. Auch wenn mir die Sache bislang nicht viel ausgemacht hat. Wurde die Spannung in mir zu groß oder meine Bauchdecke hart, legte ich mich auf die Erde und ließ zu, daß die Erdklümpchen, das seidige Gras oder die Steine, Kiesel und Ziegelbrocken unter mir warm wurden. Wenn, sagen wir, ein Haus bombardiert worden war, legte ich mich gern in die Ruinen. Ich hatte die Erde liebgewonnen, denn sie erlaubte so viel. Ja, die Erde ist nachgiebig, viel nachgiebiger als der Himmel, der Stein oder eine Kirche. Am meisten liebte ich an ihr, daß sie mich reden ließ. Oder manchmal half mir auch der Himmel, ich schaute in sein blaues Wogen, bis die zögerliche, unnütze Wärme meinen Schoß durchströmte. Zuweilen, wenn ich ein Stück Landschaft, die Belgrader Autobahn, die Theiß oder einen gerade entstehenden Kinderpark sah, mußte ich heftiger seufzen. Als wäre die Erde, das Land meine Frau. Von einer richtigen, lebendigen Frau aber fielen mir immer nur die Schmucktücher ein. Daß die so leicht sind und davonfliegen, wenn der Himmel nur einmal im Traum seufzt; und wenn es keinen Distelstrauch gibt, an dem sie hängenbleiben, dann siehst du sie nie wieder, höchstens am Hals von Erik Pišk.
    Ich hatte Angst vor Frauen, sehr große Angst, um ehrlich zu sein, nur zu den Frauen von Erik Pišk vielleicht war mein Verhältnis irgendwie anders. Vor ihnen, ihrem Atem, ihrem Duft hatte ich nicht soviel Angst, auch wenn ich sozusagen drei Schritte Abstand hielt. Aber langsam wurde auch ich alt, die Beine taten mir immer öfter weh, ja, und ich hatte auch keine Verwandten. Als ich Kind war, hatten sie meinen Vater als Statisten zu einem Partisanenfilm beordert, Weißer Nebel hieß er, glaube ich, und er kam nie wieder zurück. Meine Mutter ist vor gut zehn Jahren fortgegangen, in den unruhigen Zeiten um Kádárs Tod. Damals kam auch ein ungarischer Bekannter von jenseits der Grenze herüber, Gál, der Käsechauffeur. Jetzt, wo der Alte tot ist, sagte er, könntest du dir wirklich eine Frau nehmen, du Taugenichts. Aber ich lachte ihm ins Gesicht vor Angst, he, Gál, zum Teufel mit deiner Mutter, daß die Arme dir das Sprechen beigebracht hat, war verdammt überflüssig.
    Übrigens wurde erzählt, Erik Pišk habe einmal auf einer Großveranstaltung sogar Josip Broz Tito geküßt, der für einen Moment versonnen auf den hochgewachsenen Mann mit der Pfeife starrte, sich dann selbstvergessen mit dem Zeigefinger über die Lippen fuhr und murmelte, ei, ei, der Genosse müsse ein Mann von verdammt großer Natur sein. Solche Geschichten kreisten um Erik Pišk. Und daß er seine Frauen zu Tode bestieg, aber das habe ich

Weitere Kostenlose Bücher