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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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ein so gewaltiges Projekt nicht auf Anweisung von jemand anderem in Angriff nehmen können
(und auch wenn ich selbst noch nie im Leben einen Wagen gewaschen habe), gibt es kleinere Dinge, die man tun kann, sogar so kleine, dass sie demjenigen, der sie tut, bedeutungslos erscheinen mögen, man aber nie sagen kann, welche Bedeutung sie für den Menschen haben können, dem sie zugutekommt.
    Aus dieser Gemütsverfassung heraus schrieb ich eine Mail an einen alten Freund meines verstorbenen Onkels, der ihn noch aus seinen längst vergangenen Varieté-Tagen kannte. Nach Georges Tod im letzten Jahr war der Kontakt zwischen Jerry und mir abgerissen. Doch er schrieb gleich am nächsten Tag zurück, wie sehr er sich freue, von mir zu hören, und dass meine Mail eine willkommene Abwechslung in seinem Leben darstelle, in dessen Mittelpunkt im Moment die schwere Krankheit seiner Frau stehe - von der ich keine Ahnung gehabt hatte. Jerrys Begeisterung über meine winzige Geste freute und überraschte mich gewaltig, und als ich eine kleine Kostprobe davon bekam, wie Tim sich viel häufiger fühlen musste, fiel mir wieder ein, dass ich einmal zu einer Bekannten gesagt hatte, mein Mann sei ein viel besserer Mensch als ich, worauf sie sofort mangelndes Selbstwertgefühl meinerseits vermutete. (Wie gesagt, sie war nur eine Bekannte.)
    »Sag das nicht!«, herrschte sie mich an. Ich hatte nur versucht, eine schlichte Tatsache festzustellen, eine Tatsache, an der keinerlei Zweifel besteht. Tim ist immer nett und rücksichtsvoll, nicht nur anderen, sondern vor allen Dingen mir gegenüber, was mich insgeheim immer glauben lässt, ich hätte mit unserer Beziehung die besseren Karten bekommen. Nun begriff ich allmählich, dass es in Wahrheit gar nicht darum ging. Stattdessen erlebte ich die Freude, die mein Mann aus der Tatsache zieht, dass
er anderen Menschen hilft, aus erster Hand. Ich holte tief Luft und nahm mir vor, in Zukunft mehr wie Tim zu sein und zu versuchen, dieses Freundlichkeitsprinzip, auf das er immer so großen Wert gelegt hat, selbst anzuwenden, während ich mich fragte, ob ich ihn im Zuge dessen nicht zwangsläufig die gesamte Fahrerei übernehmen lassen sollte. (Während ich mich ursprünglich für die Psychiatrie entschieden habe, um Menschen zu helfen - und ich glaube, dass ich das im Lauf der Jahre durchaus getan habe -, bestand bei mir die Gefahr, mich nach all den Jahren ausgelaugt zu fühlen, wohingegen mein Ehemann einen unendlichen Vorrat an Altruismus zu besitzen scheint, zumindest wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, bösartige Pläne gegen mich auszuhecken.)
    Meine Skepsis geriet keine Sekunde ins Wanken, als wir uns den tausenden Besuchern anschlossen, die Jahr für Jahr zum Corn Palace in Mitchell, South Dakota, strömen. Natürlich besteht es nicht wirklich aus Maiskolben, sondern wird lediglich damit geschmückt: massenweise Maiskolben, dazwischen vereinzelte Weizenähren und Präriegrasbüschel, als jämmerlicher Versuch, die Monotonie zu durchbrechen. Tim bemerkte, es sei zweifelhaft, dass jemand mit der Ankündigung, man hätte mitten in diesem Wald einen Eispalast erschaffen, indem man ein Holiday Inn im Januar mit Wasser übergoss und es als toll bezeichnete, einen Blumentopf gewinnen würde. Was um alles in der Welt war an diesem Corn Palace dran? Als wir unser Erstaunen kundtaten, weshalb die Leute das Ding besuchen sollten, bekamen wir nur eine Erklärung: »Es sieht jedes Jahr anders aus. Wenn Sie wiederkommen, werden Sie das abgebildete Motiv kein zweites Mal mehr sehen!« Wir versicherten dem guten Mann, das sei nicht weiter
von Bedeutung für uns. Und um noch einen draufzusetzen, versuchten wir, den Ausflug wenigstens zu retten, indem wir herumgingen und alles nach einem Restaurant absuchten, doch in der gesamten Stadt um diesen Maispalast herum war nicht einmal ein mickriger Kolben zu kriegen.
     
    Als wir uns auf den Weg in den Mittleren Westen und unserem nächsten Ziel machten, war der Labour-Tag, der für Amerikaner das Ende des Sommers symbolisiert, fast gekommen. Ich hatte angenommen, der Spitzname »Land der tausend Seen« sei reine Übertreibung, gelangte jedoch zu dem Schluss, dass eher das Gegenteil der Fall war. Wir fuhren durch den nördlichen Teil des Bundesstaates, durch Park Rapids und Walker Lane, wo wir hemdsärmelig in einem reizenden Restaurant am Wasser saßen, Fish & Chips aßen und den malerischen, friedvollen Anblick genossen. Wir suchten Schatten unter einem

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