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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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die Zeit ausgegangen war und sie schon lange nicht mehr in der Zeit war, wie konnte das sein?
    Dann sah sie einen großen, sich im Dunkel verdichtenden Klumpen, hörte quietschende Räder und einen abgehackt schnarchenden Atem. Avram? flüsterte sie, ein Glück, dass du kommst, hör zu, was mir passiert ist … Dann spürte sie, dass da zwei atmeten, und sie setzte sich im Bett auf, in dünne Decken gehüllt, und starrte ins Dunkel.
    Schau mal, was ich dir mitgebracht hab, flüsterte er.
    Den ganzen Tag hatte sie auf ihn gewartet, dass er wiederkäme und wieder bei ihr sitze, dass er mit ihr rede und ihr so zuhöre, als sei ihm jedes Wort unsäglich wichtig, sie hatte sich danach gesehnt, dass er mit seinen hypnotisierenden Fingern ihren Kopf und ihren Nackenstreichelte. Zart wie die Finger von einem Mädchen, dachte sie, oder von einem Baby. In den wenigen klaren Momenten zwischen Anfällen von Schüttelfrost und Albträumen versuchte sie, die Nächte mit ihm zu rekonstruieren, und merkte, fast alles hatte sie vergessen, aber ihn nicht. Doch auch an ihn erinnerte sie sich nicht richtig, nicht wie an jemanden, den sie wirklich gesehen und kennengelernt hatte, sogar sein Gesicht fügte sich nicht zu einem Bild zusammen, sondern bewegte und veränderte sich dauernd, manchmal spaltete es sich sogar in verschiedene Gesichtszüge, und was ihr schließlich von ihm übrig blieb, war diese Hitze, wie die eines Flammenwerfers, die er aussandte. Ohne ihn war ihr kalt, ohne ihn war sie richtiggehend dabei, zu erfrieren.
    Stundenlang hatte sie dagelegen, schlafend oder wach, und hatte sich seine Hand vorgestellt, die weiter und weiter ihr Gesicht streichelte und an ihrem Nacken spielte. Noch nie hatte jemand sie so berührt, überhaupt hatte man sie nur wenig berührt. Woher kannte er sich so gut aus, wenn er noch nie so mit einem Mädchen war? Und ausgerechnet in dem Moment, als ein Strom der Güte von ihr zu ihm zu fließen begann, und nachdem sie den ganzen Tag auf ihn gewartet hatte, dass sie sich ein bisschen umarmen und reden würden, so wie sie miteinander redeten, kam er und machte einen so plumpen Fehler, wie ihn nur Jungs machen können, wie unter der Achsel zu furzen, wenn sich auf der Leinwand zwei küssen, oder diesen Typ da anzuschleppen …
    Der da im Rollstuhl schlief und leicht schnarchte und anscheinend gar nicht wusste, wo er war. Avram hatte ihn ins Zimmer rangiert, war an einen Schrank und an ein Bett gestoßen und quoll über vor Entschuldigungen und Erklärungen: Er wolle ihn nicht die ganze Nacht allein im Zimmer lassen, Ilan habe Albträume, er habe vierzig Fieber, vielleicht sogar mehr, er phantasiere die ganze Zeit, er habe Angst zu sterben, und wenn Avram das Zimmer verlasse und zu Ora gehe, höre Ilan die ganze Zeit Stimmen, dass die Araber siegen, so ganz furchtbare Sachen.
    Während er das alles erzählte, parkte er Ilan im Rollstuhl mit dem Gesicht zur Wand und tastete sich den Weg zu ihr. Schon aus der Entfernung spürte er, wie sie ihre Stacheln gegen ihn aufstellte, und miteinem feinen Verstehen, das sie überraschte, kam er nicht auf ihr Bett, sondern setzte sich vorsichtig und ergeben auf den Stuhl daneben und wartete ab.
    Sie zog die Beine an, verschränkte die Arme vor der Brust, schwieg zornig und schwor sich im Stillen, bis ans Ende der Tage zu schweigen, doch sofort brach es aus ihr heraus: Ich will nach Hause. Mir reicht’s.
    Aber das geht nicht, du bist noch krank.
    Scheißegal.
    Weißt du was, verriet Avram ihr ein Geheimnis, der ist überhaupt in Tel Aviv geboren.
    Wer?
    Der da, der Ilan.
    Schön für ihn.
    Und erst vor einem Jahr ist er nach Jerusalem gezogen.
    Wie aufregend!
    Sein Vater ist der leitende Kommandant eines Camps hier geworden, Oberst oder so. Und willst du was Witziges hören …
    Nein.
    Avram warf einen vorsichtigen Blick ans Ende des Zimmers, beugte sich vor und flüsterte: Er redet, ohne es zu merken.
    Was heißt das?
    Im Schlaf mit dem Fieber, da quatscht er einfach drauflos.
    Auch sie beugte sich vor und flüsterte: Aber ist das nicht … doch ein bisschen peinlich?
    Willst du noch was hören?
    Was?
    Wir haben uns gestritten.
    Wer?
    Ich und er.
    Wieso?
    Nicht nur ich, die ganze Klasse redet nicht mit ihm.
    Habt ihr einen Boykott gegen ihn ausgerufen?
    Nein, im Gegenteil, er boykottiert uns.
    Ein Junge macht echt einen Boykott gegen alle?
    Schon ein ganzes Jahr.
    Und?
    Er redet nicht mit uns.
    Wie geht denn das?
    So eben, er streikt.
    Und hier redet ihr

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