Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Wo war sie diese ganze Zeit gewesen, wovon hatte sie geträumt?
Eine neue Kühle bildete sich um die glühende Ora. Avram schlief ihr gegenüber und seufzte etwas, und Ilan schlief jetzt am Ende des Zimmers ganz still, und es war ihr, als hätten sich beide ein bisschen aufgelöst, als ließen sie einen Moment von ihr ab, damit sie endlich das Große und Wichtige begreifen konnte, das ihr widerfuhr. Sie saß aufrecht im Bett, umschlang ihre Knie und spürte, wie man sie langsam aus dem Bild ihres Lebens herausschnitt; dort, wo mal Ora gewesen war, würde ein Loch zurückbleiben.
Sie zitterte. Wo würde sie dann sein, wie würde sie je zu ihnen zurückkehren? Sofort begriff sie, dass diese Fragen im Moment ihre Kräfte überstiegen und sie jetzt besser nur über den Krieg nachdachte. Um zu verstehen, wie Krieg ist, was das genau ist. Sie war noch in keinem gewesen. Beim Sinai-Feldzug war sie noch klein gewesen und hatte überhaupt nichts verstanden. Man hatte ihr erzählt, dass ein ägyptisches Kriegsschiff – den Namen wusste Ora nicht mehr – Haifa beschossen hatte und versenkt worden war. Da begann ihr Körper ohne ihr Zutun, sich nervös vor und zurück zu wiegen. Was passiert im Krieg? Wann weiß man, dass man gesiegt hat und dass es vorbei ist?Und welche Strafe bekommen die Verlierer? Und die Leute, die am Krieg beteiligt sind – nicht nur die Soldaten, sondern alle, sogar die Kinder –, vielleicht würden die sich jetzt völlig verändern? Aber wie? Sie kicherte beklommen: Konnte es sein, dass sich jetzt bei allen für immer etwas veränderte, außer bei denen, die in Isolation waren?
Avner zum Beispiel. Sie versuchte, ihn aus der Erinnerung hochzuholen, hier war er, das war ihre erste wirkliche Anstrengung, wieder zurückzukehren, sich zu erinnern, was es außerhalb dieses Zimmers gab. Mit zusammengepressten Lippen wiederholte sie, was sie über ihn wusste, als lerne sie für eine Prüfung: Er ist aus Holon, sie haben sich beim Bowling kennengelernt, an seinem freien Nachmittag und Abend vom Militärinternat … Sie atmete schwer, aber sie gab nicht auf. Wieder schloss sie die Augen, sah seinen schütteren Bart mit den witzig abstehenden Spitzen, seine Sandalen und die riesig großen Zehen, doch was zwischen dem Bart und den Sandalen war, konnte sie nicht sehen, und so beschloss sie, sich erst einmal an andere Leute zu erinnern, die ihr näher waren, aber vielleicht doch nicht jetzt.
Erschöpft und ratlos saß sie da. Schade, dass man darüber mit diesem Idioten Avram schon nicht mehr reden kann, der hätte bestimmt etwas Kluges gesagt, dieser Verräter, der Geheimnisse ausplaudert. Eine ganze Einheit von Zensoren wird jeden seiner Briefe kontrollieren müssen. Nur jeden Brief? Jeden Satz aus seinem Mund, jeden Atemzug.
In ihre Gedanken, in den Schlaf, der sie langsam übermannte, schlich sich eine dumpfe, heisere Stimme. Zuerst erkannte sie Avrams Stimme nicht und dachte, vielleicht habe der da, sein durchgeknallter Freund, angefangen, von sich zu erzählen, und sie hörte gespannt zu. Von dem Moment an, als ich dich mit dem Streichholz in der Hand gesehen habe, dachte ich, von mir aus könnte ich dir alles erzählen, was mir durch den Kopf geht, aber dich, dich würde das aufregen, da war ich mir sicher, du bist rothaarig, feurig, ereiferst dich schnell, du hast eine verdammt kurze Zündschnur, das hab ich schon gesehen. Weißt du, wenn es dich aufregt, dann gib mir einen Tritt. Sie tritt mich nicht, vielleicht hat sie sich eine Trittabstinenz auferlegt oder sich einem Orden angeschlossen, der es seinen Mitgliedern verbietet, hilflose Zwerge zu treten? Schau, jetzt lächelt sie, ich seh ihren Mund sogar im Dunkeln. Einen Wahnsinnsmund hat die. Wo war ich stehngeblieben?Ist auch egal, denn wenn ich die Augen zumache, kann ich ihr alles sagen, was mir in den Sinn kommt. Ich kann ihr sogar beschreiben, wie sie aussieht, ganz problemlos, das heißt …
Er wartete, Ora schluckte. Mit einem Schlag brach ihr der Schweiß aus. Sie verbarg ihr Gesicht noch tiefer in der Decke, und nur ihre Augen glänzten im Dunkeln. Auch jetzt tritt sie nicht, stellte Avram fest, dann ist sie wohl damit einverstanden, dass ich ihr sage, zum Beispiel, zum Beispiel … Er zögerte, plötzlich war es zu nah; na dann zeig mal, was du kannst, du Angsthase, du kastrierter – ich kann ihr zum Beispiel sagen, wie schön sie ist, dass ich nie im Leben ein schöneres Mädchen gesehn hab, sogar hier, im Krankenhaus, trotz Krankheit
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